10.12.2012 Aufrufe

Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

664<br />

Der erste Teil der Gedenkschrift ist dem Knaben gewidmet, einem frühreifen<br />

Wunderkind. Kästner, Namenspate (Pathe vom Enkel genannt) und verschwiegener<br />

Großvater des jungen Gotthelf, geht in seinem Beitrag zunächst der Problematik<br />

extremer Frühreife von Kindern nach, wobei er vorliegende historische Berichte<br />

über vergleichbare Fälle, wie z. B. den des Aufsehen erregenden Lübecker Wunderkindes<br />

Christian Henrich Heineken einbezieht. 1793 Angesichts der in <strong>Göttingen</strong><br />

verbreiteten Meinung, Kirstens Kind werde vermutlich früh sterben, ist Kästners<br />

Darstellung auch der Versuch einer Rechtfertigung: Daß sein Aufenthalt unter uns<br />

dadurch nicht ist verkürzt worden, weil seiner Begierde nach Unterrichte immer Befriedigung<br />

wiederfuhr. Einige Göttinger meinten offensichtlich, dem übertriebenen Ehrgeiz der<br />

Eltern und des Paten zuschreiben zu müssen, was ihnen als Folge einer ungewöhnlichen<br />

Entwicklungsdynamik im Kinde selbst unerklärlich erschien. Da<br />

Kästner sich in seiner Selbstbiographie als Frühreifer dargestellt hatte, lag die<br />

Vermutung nahe, er treibe auch sein Patenkind zu frühen Höchstleistungen an.<br />

Hatte Kästner doch bereits als 10jähriger Knabe an den juristischen Vorlesungen<br />

seines Vaters teilgenommen, und er wurde am 12. Geburtstag regulär an der Leipziger<br />

Universität immatrikuliert. 1794<br />

Im anschließenden Bericht Kirstens wird deutlich, wie der unerschöpfliche Wissensdurst<br />

des Kleinkindes, seine enorme Merkfähigkeit, seine erstaunlichen Abstraktions-<br />

und Kombinationsmöglichkeiten – aber auch seine Phantasie und Erfindungsgabe<br />

– die Entwicklung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten in ungewöhnlicher<br />

Weise vorantrieben.<br />

Die ein und zwanzig Monathe flossen ihm glücklicher und nützlicher hin, als manchen<br />

andern eben so viel Jahre. Man glaubte er ginge im Lernen zu weit; und prophezeite<br />

ihm ein kurzes Leben. Dies traf ein; aber aus einer ganz andern Ursache [S. 67 f.].<br />

Erstaunlich ist u. a. das Interesse des Kindes an der Sprache und der Umfang<br />

seines Sprachverständnisses für lateinische und französische Ausdrücke.<br />

In der 24 ten Woche trug ich ihn gegen den Ofen und nannte diesen und andere Gegenstände<br />

bald lateinisch bald französisch. Er gab mir zu verstehen, daß ich diese<br />

Wörter wiederholen sollte; Er schien sich darüber zu freuen; Ich gieng weiter nannte<br />

ihm zu gleicher Zeit pila und pileus; und sein Pathe forfex und forceps; Er behielt<br />

die Worte, ohne die Gegenstände zu verwechseln. Nannte man ihm in der Folge dieselben<br />

Sachen deutsch, so wies er so lange, bis man sie ihm lateinisch, oder französisch<br />

sagte. So lernte er 300 fremde Wörter. Zuletzt fing ich an, ihn in diesen Sprachen anzureden,<br />

und er errieth aus meinen Geberden die ihm unbekannten Worte. [S. 31] [...]<br />

Bei den Worten: volumusne ire ad sponsorem tuum? schrie er Pathe – Pathe<br />

– so mit den Uebrigen. [...] Seine Mutter und Wärterin sagten ihm zuweilen fremde<br />

1793 Heise, Hans: Das Lübecker Wunderkind. Bremen-Wilhelmshaven 1924. – Heineken lebte dort<br />

vom 6. 2. 1721 bis zum 27. 6. 1725. Es ist ein Miraculum, lautete ein Urteil des dänischen Königs, der<br />

Heineken eine Audienz gewährte.<br />

1794 Eckart (wie Anm. 872), S. 3.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!