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Johannes Tütken - SUB Göttingen - GWDG

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dozent hatte Kraus weiterhin alle seine Veröffentlichungen der Fakultät zur Genehmigung<br />

vorzulegen. Während er seinen Zensor Osiander 1821 wegen dessen<br />

Großzügigkeit loben konnte, war vermutlich wegen des lebensphilosophischen<br />

Ansatzes seiner Krankheitslehre die jüngste Publikation von Kraus dem nicht<br />

genannten medizinischen Zensor seiner Fakultät nicht ohne weiteres genehmigungsfähig.<br />

Der Vorgang zeigt auch, dass Kraus neben seinem Freund Langenbeck<br />

auch mindestens mit einem Gegner unter den Professoren seiner Fakultät<br />

rechnen konnte.<br />

Krauses Publikation zur Krankheitslehre wird durch philosophische Erörterungen<br />

eingeleitet, in denen er seine physiologische Orientierung mit einer grundsätzlichen<br />

Behauptung zum Leben als erster und allgemeiner Grundkraft in § 1. eröffnet<br />

– ohne die bisherige Eulenscheu vor aller Philosophie:<br />

Eine bildende Grundkraft, Ein Leben schafft und erhält die Welt. Sie wirkt ewig und<br />

unendlich in der Natur und ist der nächste positive Grund alles Wirkens und Daseins.<br />

– Alles was ist und lebt, ist und lebt zunächst nur durch sie.<br />

In seinem gereizten Vorwort zieht Kraus gegen seine wissenschaftlichen Antipoden<br />

zu Feld und nennt zunächst den Topicismus und den hirnlose[n] Materialismus, ungeschlachte<br />

Thiere e grege Epicuri aus dem Stalle unserer leichten westlichen Nachbarn. Er<br />

hofft, dass wie bei den Damen diese Pariser Orientierung aus der Mode kommen<br />

werde.<br />

Die Natur, ohne deren stäte und treue Beachtung der Arzt zu weniger als nichts,<br />

nämlich zur zerstörenden Bürde wird, verweis´t auf vernunftgemässes Denken und<br />

Handeln und ist eine zu gestrenge Rächerin jeder Vernunftwidrigkeit, als dass der bessere<br />

Theil der Aerzte noch langehin die bisherige Eulenscheu vor aller Philosophie hegen<br />

[...] könnte.<br />

Er glaubte sich demnach auf der Bahn des Fortschritts, die für ihn zu einer philosophisch<br />

fundierten Medizin führte. Nach dem Vorwort von Kraus haben auch<br />

die Philosophen selbst zur philosophischen Eulenscheu in der Medizin beigetragen.<br />

Vor allem hätten die neueren sogen. Philosophen und ihre wenigen medicinischen Jünger<br />

und insbesondere unsere HegelIANER zur Verachtung der Natur ihren Beitrag<br />

geleistet. Man dürfe argwöhnen, dass diese sogen. Philosophen nach dem alten humoristischen<br />

Anticanon: Verum, quia absurdum est verfahren. Die Göttinger Abneigung<br />

gegen die Hegeley wurde demnach in verschiedenen Lagern kultiviert.<br />

Kraus hoffte, mit seiner Nosologie insbesondere die sog. reinen Praktiker gewinnen<br />

zu können, die ohne das Bewusstsein irgendeiner Richtung auf der Oberfläche<br />

der Erscheinungen dahinschwimmen würden. Für sie gäbe es kaum eine<br />

Norm, die einfacher und sicherer zum Ziel führe, als die hier aufgestellte physiologische,<br />

auf das Leben und dessen klar vorliegende Haupttheile begründete.<br />

Bleibt doch dem, der noch zur Zeit seinen Geist nicht aus der starren materialistischen<br />

Knechtschaft zur freieren dynamischen Selbstthätigkeit zu erheben vermag, hier wenigstens<br />

die Freiheit, bei den Namen der Sensibilität, Reactivität (oder sog. Irritabilität),<br />

Productivität an die (die entsprechenden Begriffe freilich bei weitem nicht erschöpfenden)

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