Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

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10.12.2012 Aufrufe

360 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005 Heinz Schöch, Probleme der Fahrsicherheit und Fahreignung bei Substitutionspatienten mit neueren Erkenntnissen zur Fahrsicherheit und würden daher die in § 2 IV StVG enthaltenen Beurteilungsspielräume verkennen. Es muss also den seltenen Ausnahmefällen Rechnung getragen werden, in denen bereits während laufender Substitutionsbehandlung die hohen Anforderungen an die Fahreignung erfüllt sind. Die Fahrerlaubnisbehörden orientieren sich bei der Beauftragung von Gutachtern an den „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“. Nach diesen Leitlinien ist nach dem derzeitigen Stand der Verkehrsmedizin und -psychologie bei Methadon-Substitution aufgrund nicht hinreichend beständiger Anpassungs- und Leistungsfähigkeit die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Regelfall, von dem es im Einzelfall unter engen Voraussetzungen seltene Ausnahmen geben kann 19 ). Diese unmittelbare Gesetzesinterpretation des § 2 IV StVG neben der Fahrerlaubnisverordnung ist zulässig und geboten, weil die Frage der Substitution in der Fahrerlaubnisverordnung nicht bedacht wurde, während sie in den Richtlinien differenziert behandelt wird 20 ). Besondere Umstände, die nach den Leitlinien für den Ausnahmefall der Fahreignung sprechen, sind unter anderem eine mehr als einjährige Methadon-Substitution, eine psychosoziale stabile Integration, die Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, inklusive Alkohol, seit mindestens einem Jahr, nachgewiesen durch geeignete, regelmäßige, zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar) während der Therapie, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen der Störung der Gesamtpersönlichkeit 21 ). Diese Kriterien berücksichtigen in zulässiger Weise typische Risiken und sind daher gesetzes- und verfassungskonform 22 ). Da die Begutachtungs-Leitlinien aber nicht gesetzlich verbindlich sind, kann der Gutachter – je nach Lage des konkreten Einzelfalls – davon abweichen und zum Beispiel eine kürzere Erprobungszeit ausreichen lassen. So hat der VGH München im Falle des Abstinenznachweises eines langjährigen Haschisch-Konsumenten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leitlinien keine zwingenden Vorgaben darstellen, so dass bei begründetem Anlass eine Abweichung im Einzelfall sehr wohl möglich sei 23 ). Solche Abweichungen können sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Betroffenen erfolgen. Will der Sachverständige zu Gunsten des Betroffenen von den Leitlinien abweichen, ist dabei allerdings äußerste Zurückhaltung geboten. Es ist nicht Aufgabe des Sachverständigen, soziale Härten im Einzelfall auszugleichen. Er hat bei seiner Begutachtung das allgemeine Erfahrungswissen der Verkehrsmedizin und -psychologie zu berücksichtigen. Nur wenn es fachwissenschaftliche Kriterien für eine Abweichung von der Regel gibt, ist diese gerechtfertigt. Denkbar wäre z. B. die Verkürzung des einjährigen Abstinenznachweises bei psychosozialer Stabilisierung im beruflichen und familiären Bereich und nach mehrmonatiger, überzeugend nachgewiesener Beikonsumfreiheit. Eine Änderung der Anforderungen der Leitlinien durch den Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin bei den Bundesministerien für Verkehr und Gesundheit wäre möglich, falls wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass die Risiken des Beigebrauches anderer psychoaktiver Substanzen (einschließlich Alkohol) oder des Therapieabbruchs im ersten Jahr erheblich geringer sind als bisher angenommen. Wegen des höheren Risikopotenzials bei substituierten Drogenabhängigen empfiehlt sich allerdings nach derzeitigem Forschungsstand eine völlige Gleichstellung der Substitution mit anderen psychoaktiv wirkenden Medikamenten, bei denen nur der regelmäßige übermäßige Gebrauch zur generellen Verneinung der Fahreignung führt (Anlage 4 Nr. 9.4 und § 14 I Nr. 3 FeV), nicht.

Heinz Schöch, Probleme der Fahrsicherheit und Fahreignung bei Substitutionspatienten Als sachgerechte Zwischenlösung bietet sich die Erteilung der Fahrerlaubnis unter Auflagen gemäß § 2 IV 2 StVG während der Substitutionsbehandlung an. Damit könnten solche Fälle erfasst werden, die den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausnahme nach den Begutachtungsleitlinien nahe kommen und bei denen den Patienten eine Erprobung zuzutrauen ist. Zwar gilt bei Eignungszweifeln nicht der Grundsatz „in dubio pro reo“, weshalb der Antragsteller seine Fahreignung nachweisen muss. Gemäß § 2 IV 2 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis aber mit Beschränkungen oder unter Auflagen erteilen, wenn der Bewerber auf Grund körperlicher oder geistiger Mängel nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist und durch die bedingte Erteilung das sichere Führen von Kraftfahrzeugen gewährleistet ist. Eine bedingte Fahrerlaubnis wird von den Verwaltungsbehörden bisher wohl überwiegend beim Vorliegen körperlicher Mängel erteilt (z. B. bei Sehschwäche unter der Auflage des Tragens einer Sehhilfe), eine Beschränkung auf diese Fälle ergibt sich aus dem Gesetz allerdings nicht. Das Gesetz erkennt den Begriff der bedingten Eignung auch bei geistigen Mängeln an. Zu den geistigen Mängeln gehören neben geistigen Erkrankungen, unter die z. B. auch die Drogensucht oder -abhängigkeit gefasst wird 24 ), auch die mangelnde charakterliche Eignung, die in Fällen langjähriger Alkohol- oder Drogenabhängigkeit oder bei wiederholten Verstößen gegen Strafgesetze (§ 2 IV 1 StVG) zu bejahen ist. Falls alle Voraussetzungen für die Fahreignung bis auf die Kontrolle der längerfristigen Abstinenz vorliegen, ist somit auch für Substituierte die Erteilung einer bedingten Fahrerlaubnis geboten. Der Gutachter hat dabei die Aufgabe, die Bedingungen, die der Proband zu erfüllen hat, entsprechend klar zu formulieren, damit die Fahrerlaubnisbehörde diese Risikofrage nicht in eigener Verantwortung entscheiden muss. Dieses Vorgehen würde einerseits eine Kontrolle des Substituierten hinsichtlich der Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen über ein Jahr hinaus während der Dauer der Substitutionsbehandlung ermöglichen. Andererseits wäre damit zugleich eine Erhöhung der Reintegrationschancen für den Patienten verbunden. 6. Umgehung des deutschen Fahrerlaubnisrechts durch Erlangung einer ausländischen Fahrerlaubnis? Aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29. 04. 2004 zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen 25 ) wird von einigen Fachleuten befürchtet, dass die strengen deutschen Regelungen über die Fahreignung durch die Erlangung einer Fahrerlaubnis im Ausland unterlaufen werden könnten 26 ). Sie sehen in der Entscheidung einen Freibrief für die, denen in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen wurde und die sich dann unter Umgehung der deutschen Eignungsvorschriften insbesondere der medizinisch-psychologischen Untersuchung im europäischen Ausland unter Verwendung eines Scheinwohnsitzes einen Führerschein besorgen. In seinem Urteil hat der EuGH ausführlich zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen Stellung genommen. Anlass der Entscheidung war ein Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, gegen den der Beschuldigte beim Amtsgericht Frankenthal Einspruch eingelegt hatte. Dem Beschuldigten war die deutsche Fahrerlaubnis in einem vorhergehenden strafrechtlichen Verfahren entzogen worden. Bei einer Polizeikontrolle zeigte er einen in den Niederlanden ausgestellten Führerschein vor. Das Amtsgericht war sich nicht sicher, ob der von der niederländischen Behörde nach Ablauf der im Entzugsverfahren festgelegten Sperrfrist ausgestellte Führer- 361 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005

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BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong><br />

Heinz Schöch,<br />

Probleme der Fahrsicherheit <strong>und</strong> Fahreignung bei Substitutionspatienten<br />

mit neueren Erkenntnissen zur Fahrsicherheit <strong>und</strong> würden daher die in § 2 IV StVG enthaltenen<br />

Beurteilungsspielräume verkennen. Es muss also den seltenen Ausnahmefällen<br />

Rechnung getragen werden, in denen bereits während laufender Substitutionsbehandlung<br />

die hohen Anforderungen an die Fahreignung erfüllt sind.<br />

Die Fahrerlaubnisbehörden orientieren sich bei der Beauftragung von Gutachtern an den<br />

„Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“. Nach diesen Leitlinien ist nach dem<br />

derzeitigen Stand der Verkehrsmedizin <strong>und</strong> -psychologie bei Methadon-Substitution aufgr<strong>und</strong><br />

nicht hinreichend beständiger Anpassungs- <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit die mangelnde<br />

Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Regelfall, von dem es <strong>im</strong> Einzelfall unter<br />

engen Voraussetzungen seltene Ausnahmen geben kann 19 ). Diese unmittelbare Gesetzesinterpretation<br />

des § 2 IV StVG neben der Fahrerlaubnisverordnung ist zulässig <strong>und</strong> geboten,<br />

weil die Frage der Substitution in der Fahrerlaubnisverordnung nicht bedacht wurde,<br />

während sie in den Richtlinien differenziert behandelt wird 20 ).<br />

Besondere Umstände, die nach den Leitlinien für den Ausnahmefall der Fahreignung<br />

sprechen, sind unter anderem eine mehr als einjährige Methadon-Substitution, eine<br />

psychosoziale stabile Integration, die Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver<br />

Substanzen, inklusive <strong>Alkohol</strong>, seit mindestens einem Jahr, nachgewiesen durch geeignete,<br />

regelmäßige, zufällige Kontrollen (z. B. Urin, Haar) während der Therapie, der Nachweis<br />

für Eigenverantwortung <strong>und</strong> Therapie-Compliance sowie das Fehlen der Störung der<br />

Gesamtpersönlichkeit 21 ). Diese Kriterien berücksichtigen in zulässiger Weise typische<br />

Risiken <strong>und</strong> sind daher gesetzes- <strong>und</strong> verfassungskonform 22 ).<br />

Da die Begutachtungs-Leitlinien aber nicht gesetzlich verbindlich sind, kann der Gutachter<br />

– je nach Lage des konkreten Einzelfalls – davon abweichen <strong>und</strong> zum Beispiel eine<br />

kürzere Erprobungszeit ausreichen lassen. So hat der VGH München <strong>im</strong> Falle des Abstinenznachweises<br />

eines langjährigen Haschisch-Konsumenten ausdrücklich darauf<br />

hingewiesen, dass die Leitlinien keine zwingenden Vorgaben darstellen, so dass bei begründetem<br />

Anlass eine Abweichung <strong>im</strong> Einzelfall sehr wohl möglich sei 23 ).<br />

Solche Abweichungen können sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Betroffenen<br />

erfolgen. Will der Sachverständige zu Gunsten des Betroffenen von den Leitlinien<br />

abweichen, ist dabei allerdings äußerste Zurückhaltung geboten. Es ist nicht Aufgabe<br />

des Sachverständigen, soziale Härten <strong>im</strong> Einzelfall auszugleichen. Er hat bei seiner Begutachtung<br />

das allgemeine Erfahrungswissen der Verkehrsmedizin <strong>und</strong> -psychologie zu<br />

berücksichtigen. Nur wenn es fachwissenschaftliche Kriterien für eine Abweichung<br />

von der Regel gibt, ist diese gerechtfertigt. Denkbar wäre z. B. die Verkürzung des<br />

einjährigen Abstinenznachweises bei psychosozialer Stabilisierung <strong>im</strong> beruflichen <strong>und</strong><br />

familiären Bereich <strong>und</strong> nach mehrmonatiger, überzeugend nachgewiesener Beikonsumfreiheit.<br />

Eine Änderung der Anforderungen der Leitlinien durch den Gemeinsamen Beirat für<br />

Verkehrsmedizin bei den <strong>B<strong>und</strong></strong>esministerien für Verkehr <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit wäre möglich,<br />

falls wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass die Risiken des Beigebrauches anderer<br />

psychoaktiver Substanzen (einschließlich <strong>Alkohol</strong>) oder des Therapieabbruchs <strong>im</strong><br />

ersten Jahr erheblich geringer sind als bisher angenommen. Wegen des höheren Risikopotenzials<br />

bei substituierten <strong>Drogen</strong>abhängigen empfiehlt sich allerdings nach derzeitigem<br />

Forschungsstand eine völlige Gleichstellung der Substitution mit anderen psychoaktiv<br />

wirkenden Medikamenten, bei denen nur der regelmäßige übermäßige Gebrauch zur generellen<br />

Verneinung der Fahreignung führt (Anlage 4 Nr. 9.4 <strong>und</strong> § 14 I Nr. 3 FeV), nicht.

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