Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ... Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

10.12.2012 Aufrufe

344 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005 Kunert/Löhrer, Neuropsychologische Aspekte bei der Beurteilung der Fahreignung sprechenden „Szenen“ konnten zeigen, dass Fahrten unter den oben beschriebenen illegalen Drogen eben so häufig vorkommen wie Alkoholfahrten über 0,5 Promille. Häufig liegt eine zusätzliche Alkoholisierung vor, wobei auch verschiedene Drogen miteinander kombiniert werden (VOLLRATH et al., 2001). Die illegalisierten Rauschmittel, vulgo „Drogen“, stellten in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik eine Rarität dar. Aufgrund sozialer Gegebenheiten kam es nur selten zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei Gewohnheitskonsumenten. Inzwischen konsumieren ca. 40 bis 50 % der 16- bis 24-Jährigen gelegentlich illegalisierte Rauschmittel. Der Einfluss der illegalisierten Rauschmittel auf die Fahreignung ist daher ein verkehrsrechtlich relevantes, aber neues Problem. Die Substanzgruppe der illegalisierten Rauschmittel ist pharmakologisch, in ihrer Akutund in ihrer Langzeitwirkung, inert. Neben eher antriebssteigernden sind häufig auch sedierende Substanzen im Konsum. Die derzeit am häufigsten konsumierten Substanzen sind, neben Alkohol, wie folgt: • Cannabis („Gras“) • Opiate, z. B. Heroin, „Shore“, Methadon • Cocain • Amphetamine („Speed“) • Methamphetamine („Exstasy“) • Benzodiazepine • Halluzinogene, LSD, Mescalin, Pylote • Atropin, Belladonna, Stechapfel, Engelstrompete • Psilocybe, Canaocybe, Fliegenpilz, Krainer Tollkraut, Sassafrass Ein Überblick über die derzeitig sehr häufig konsumierten Substanzen zeigt, dass neben sedierenden, die Aufmerksamkeit reduzierenden und die motorische Reaktionsfähigkeit herabsetzenden Substanzen auch solche konsumiert werden, die zu rascherer motorischer Reagibilität, höherer Aufmerksamkeit, aber dafür vermehrter Ablenkbarkeit, hektischer Betriebsamkeit und fakultativ auftretenden Wahrnehmungsstörungen führen. Da von Konsumenten häufig ein Mischkonsum betrieben wird, sind auch die akut auftretenden Störungsbilder mit verkehrsmedizinischer Relevanz vielfältig und bedürfen in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Einzelanalyse. Erste Auswertungen einer eigenen Untersuchung zur kognitiven Leistungsfähigkeit bei über 800 polytoxikomanen Männern und Frauen im Verlauf einer mehrmonatigen stationären Entwöhnungsbehandlung unter kontrollierten Entzugsbedingungen veranschaulichen persistierende Aufmerksamkeitsstörungen, die insgesamt von hoher Alltagsrelevanz sind, insbesondere im Hinblick auf die Prüfung der Maschinentauglichkeit bzw. der Fahreignung (z. B. Teilung der Aufmerksamkeit, Flexibilität und Umstellfähigkeit, Schnelligkeit und Effizienz von Blickbewegungen). Auf das Ausmaß neuropsychologischer Funktionsstörungen bei einer Untergruppe von Polytoxikomanen hatten zuvor schon BARKER und Mitarbeiter (1999) hingewiesen. In Bezug auf spezifische Stoffgruppen liegen neuerdings ebenfalls Hinweise auf kognitive Funktionseinschränkungen vor, die bei Cannabis zum Beispiel vom Alter des Erstkonsums abhängig sind (EHRENREICH et al., 1999, POPE et al., 2003). HUESTEGGE und Mitarbeiter (2002) fanden ebenfalls bei Cannabiskonsumenten mit einem frühen Einstiegsalter auffällige Minderleistungen im Bereich der visuellen Aufmerksamkeit, d. h. bei der Steuerung der visuellen Suche, die einen wichtigen elementaren Funktionsbereich der Fahreignung darstellt. Neuere Studien (HERNING

Kunert/Löhrer, Neuropsychologische Aspekte bei der Beurteilung der Fahreignung 345 et al., 2005) verweisen zudem auf nachhaltige Störungen des Blutflusses im Gehirn bei chronischen Cannabiskonsumenten während einer Abstinenzphase, was dann von den Autoren mit den bei dieser Gruppe festgestellten kognitiven Störungen in Verbindung gebracht wurde. Diese kognitiven Leistungsminderungen, die unabhängig von der akuten Intoxikation persistieren können und auf hirnorganische Funktionsstörungen verweisen, sind verkehrsmedizinisch höchst relevant. Sie betreffen beispielsweise die multimodale Reizverarbeitung, also die Fähigkeit des Menschen, Reize gleichzeitig aus unterschiedlichen Sinneskanälen wahrzunehmen und adäquat zu verarbeiten. Da multimodale Reizanforderungen im Straßenverkehr eher die Regel als die Ausnahme darstellen, sollte dieser Funktionsbereich mit geeigneten Untersuchungsverfahren untersucht werden. So zeigen Probanden mit einem früh beginnenden Cannabiskonsum häufig auffallende und gegebenenfalls auch persistierende Störungen in der multimodalen Reizverarbeitung. Vergleichbare Auffälligkeiten können sich auch unter einem chronischen Konsum anderer Substanzen einstellen. Problematisch ist der oftmals hohe Beikonsum von anderen Drogen (bei Cannabis z. B. Alkohol), u. a. auch bei den Methadonsubstituierten. Bei diesen wird zwar nicht von einer generellen Fahruntauglichkeit ausgegangen, doch zeigen Methadonsubstituierte auffallende Einschränkungen des Reaktionsvermögens, der Aufmerksamkeits- und Konzentrationskapazität (DITTERT, NABER & SOYKA, 1999). Unter Berücksichtigung des hohen Beikonsums dürfte man allerdings von einer großen Zahl methadonsubstituierter Patienten ausgehen, die zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet sind. Im Gegensatz zum Alkohol, bei dem die Rechtsprechung aufgrund guter Quantifizierbarkeit, bekanntem Stoffwechsel sowie überprüfbarer und bedingt reproduzierbarer Wirkungsweise einen Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit festlegen konnte, fehlen derzeit solche Anhaltspunkte für die anderen berauschenden Mittel. Grenzwertdefinitionen sind auch nur bei quantitativ wirkenden Substanzen sinnvoll. Eine Vielzahl der im Drogenumfeld konsumierten Substanzen wirkt jedoch auch oder ausschließlich qualitativ, sorgt also für qualitativ andere Sinneseindrücke oder Sinnesverarbeitungen. (z. B. Cocain, Amphetamin, Methamphetamin, Atropin, LSD und andere Halluzinogene, Cannabis). Bei diesen Drogen ist eine Grenzwertdefinition pharmakologisch nicht sinnvoll. Zur Feststellung der Fahruntüchtigkeit in solchen Fällen sind, wie bei der relativen Fahruntüchtigkeit unter leichterem Alkoholeinfluss, weitere konkrete Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit erforderlich. Der Einfluß von Medikamenten auf die Fahrtüchtigkeit Über den Einfluss von Medikamenten auf die Fahrtüchtigkeit lässt sich keine globale Aussage treffen. Allerdings verweisen vorsichtige Schätzungen darauf, dass ungefähr 10 % der bei Unfällen Verletzten oder Getöteten unter dem Einfluss von zentral wirksamen Medikamenten standen (DE GIER, 1993, 1999). Generell schließt aber eine Dauerbehandlung mit Arzneimitteln die Fahrtauglichkeit nicht aus. Eine Grenzwertfestlegung analog zum Alkohol ist aus pharmakologischen Gründen nicht möglich. Eine möglicherweise arzneimittelbedingte Fahruntüchtigkeit kann nur im Rahmen des Einzelfalls geprüft werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nur wenige systematische Studien zu den Auswirkungen psychotroper Medikamente auf kognitive Leistungsbereiche existieren, zumal die Datenlage in Bezug auf die Fahrtüchtigkeit unbefriedigend ist. Dennoch liegen Hinweise BLUTALKOHOL VOL. 42/2005

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BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong><br />

Kunert/Löhrer,<br />

Neuropsychologische Aspekte bei der Beurteilung der Fahreignung<br />

sprechenden „Szenen“ konnten zeigen, dass Fahrten unter den oben beschriebenen illegalen<br />

<strong>Drogen</strong> eben so häufig vorkommen wie <strong>Alkohol</strong>fahrten über 0,5 Promille. Häufig liegt<br />

eine zusätzliche <strong>Alkohol</strong>isierung vor, wobei auch verschiedene <strong>Drogen</strong> miteinander kombiniert<br />

werden (VOLLRATH et al., 2001).<br />

Die illegalisierten Rauschmittel, vulgo „<strong>Drogen</strong>“, stellten in den fünfziger <strong>und</strong> sechziger<br />

Jahren in der <strong>B<strong>und</strong></strong>esrepublik eine Rarität dar. Aufgr<strong>und</strong> sozialer Gegebenheiten kam es<br />

nur selten zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei Gewohnheitskonsumenten. Inzwischen<br />

konsumieren ca. 40 bis 50 % der 16- bis 24-Jährigen gelegentlich illegalisierte Rauschmittel.<br />

Der Einfluss der illegalisierten Rauschmittel auf die Fahreignung ist daher ein verkehrsrechtlich<br />

relevantes, aber neues Problem.<br />

Die Substanzgruppe der illegalisierten Rauschmittel ist pharmakologisch, in ihrer Akut<strong>und</strong><br />

in ihrer Langzeitwirkung, inert. Neben eher antriebssteigernden sind häufig auch<br />

sedierende Substanzen <strong>im</strong> Konsum. Die derzeit am häufigsten konsumierten Substanzen<br />

sind, neben <strong>Alkohol</strong>, wie folgt:<br />

• Cannabis („Gras“)<br />

• Opiate, z. B. Heroin, „Shore“, Methadon<br />

• Cocain<br />

• Amphetamine („Speed“)<br />

• Methamphetamine („Exstasy“)<br />

• Benzodiazepine<br />

• Halluzinogene, LSD, Mescalin, Pylote<br />

• Atropin, Belladonna, Stechapfel, Engelstrompete<br />

• Psilocybe, Canaocybe, Fliegenpilz, Krainer Tollkraut, Sassafrass<br />

Ein Überblick über die derzeitig sehr häufig konsumierten Substanzen zeigt, dass neben<br />

sedierenden, die Aufmerksamkeit reduzierenden <strong>und</strong> die motorische Reaktionsfähigkeit<br />

herabsetzenden Substanzen auch solche konsumiert werden, die zu rascherer motorischer<br />

Reagibilität, höherer Aufmerksamkeit, aber dafür vermehrter Ablenkbarkeit, hektischer<br />

Betriebsamkeit <strong>und</strong> fakultativ auftretenden Wahrnehmungsstörungen führen. Da von Konsumenten<br />

häufig ein Mischkonsum betrieben wird, sind auch die akut auftretenden Störungsbilder<br />

mit verkehrsmedizinischer Relevanz vielfältig <strong>und</strong> bedürfen in jedem Einzelfall<br />

einer sorgfältigen Einzelanalyse.<br />

Erste Auswertungen einer eigenen Untersuchung zur kognitiven Leistungsfähigkeit bei<br />

über 800 polytoxikomanen Männern <strong>und</strong> Frauen <strong>im</strong> Verlauf einer mehrmonatigen stationären<br />

Entwöhnungsbehandlung unter kontrollierten Entzugsbedingungen veranschaulichen<br />

persistierende Aufmerksamkeitsstörungen, die insgesamt von hoher Alltagsrelevanz<br />

sind, insbesondere <strong>im</strong> Hinblick auf die Prüfung der Maschinentauglichkeit bzw. der<br />

Fahreignung (z. B. Teilung der Aufmerksamkeit, Flexibilität <strong>und</strong> Umstellfähigkeit,<br />

Schnelligkeit <strong>und</strong> Effizienz von Blickbewegungen). Auf das Ausmaß neuropsychologischer<br />

Funktionsstörungen bei einer Untergruppe von Polytoxikomanen hatten zuvor schon<br />

BARKER <strong>und</strong> Mitarbeiter (1999) hingewiesen. In Bezug auf spezifische Stoffgruppen liegen<br />

neuerdings ebenfalls Hinweise auf kognitive Funktionseinschränkungen vor, die bei<br />

Cannabis zum Beispiel vom Alter des Erstkonsums abhängig sind (EHRENREICH et al.,<br />

1999, POPE et al., 2003). HUESTEGGE <strong>und</strong> Mitarbeiter (2002) fanden ebenfalls bei Cannabiskonsumenten<br />

mit einem frühen Einstiegsalter auffällige Minderleistungen <strong>im</strong> Bereich<br />

der visuellen Aufmerksamkeit, d. h. bei der Steuerung der visuellen Suche, die einen wichtigen<br />

elementaren Funktionsbereich der Fahreignung darstellt. Neuere Studien (HERNING

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