Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

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30 Supplement II kehr sowie in dem verstärkten Glauben, trotz erheblichen Alkoholkonsums (mehr als 0,8 Promille) noch fahrtüchtig zu sein. SIEGRIST [13] konnte in seinem handlungstheoretischen Modell zum Bedingungsgefüge wiederholten Fahrens in angetrunkenem Zustand ebenfalls eine Reihe von systematischen Unterschieden zwischen wiederholt alkoholauffälligen und unauffälligen Kraftfahrern aufzeigen, spricht von einem „enormen Diskriminanzpotenzial“ seines Datensatzes und regte dementsprechend selbst eine Testentwicklung zur Erfassung charakteristischer Merkmale alkoholauffälliger Kraftfahrer an. Die Vielzahl der identifizierten Variablen mit diskriminativem Wert wurden dann zu vier Gruppen zusammengefasst. Im Folgenden dazu jeweils einige Beispiele: 1. Auffällige Einstellungen zu Trink-Fahr-Konflikten und zum Alkoholkonsum: negative Einstellung zu vermehrten polizeilichen Kontrollen; liberale Einstellung zu Alkoholnormen im Straßenverkehr; geringes subjektives Unfallrisiko; Wissensdefizite zu Alkoholmetabolismus und Alkoholwirkung; Wahrnehmung rigider sozialer Normen in Bezug auf den Konsum von Alkohol; hoher subjektiver Druck, bei alkoholisierten Lenkern mitzufahren bzw. selbst alkoholisiert zu fahren; allgemein tolerante Trinkmoral; in Trinksituationen häufig negative Emotionen. 2. Problematisches Verhalten im Straßenverkehr: Neigung zu risikofreudigerem Fahren; allgemeine Tendenz zu „sensation seeking“; Tendenz zu Geschwindigkeitsübertretungen; allgemeine Bereitschaft zur Regelübertretung; hoher emotionaler Stellenwert des Fahrzeuges. 3. Persönliche Ressourcen: mangelnde Zukunftsperspektiven; geringe Kompetenz im Umgang mit Problemen; geringe Verhaltens- und Entscheidungssicherheit. 4. Biographische Variablen und Trinkverhalten: Alter und Geschlecht (höhere Gefährdung von Männern bis 35 Jahre); ausgeprägtere familiäre Schwierigkeiten und finanzielle Belastungen; schlechtere berufliche Rahmenbedingungen; Vorbelastung mit Alkoholdelikten im Straßenverkehr; erhöhte allgemeine Devianzneigung; auffälligere Alkoholanamnese. Im nächsten Schritt erfolgte eine Zuordnung dieser Merkmalsbereiche zu den verschiedenen diagnostischen Erhebungsinstrumenten, einerseits dem neu zu entwickelnden alkoholspezifischen Fragebogen TAAK und andererseits zu den schon bisher in der Fahreignungsdiagnostik verwendeten Testverfahren VPT.2, FRF und VIP bzw. der Exploration. Die TAAK zugeordneten Variablen lassen sich nach inhaltlichen Gesichtspunkten in 5 Kategorien gliedern, die gleichzeitig die Leitprinzipien bei der Item-Konstruktion darstellten: • Alkoholaffine Einstellungen: Leistungsfunktion des Alkohols, subjektive Bedeutung und erwartete Wirkung des Alkoholkonsums (Abbau sozialer Hemmungen, Entspannung, Erlebnissteigerung, gesteigerte Kompetenz), tolerante Trinkmoral. • Alkoholaffines Umfeld: Wahrnehmung rigider sozialer Normen in Bezug auf den Konsum von Alkohol; erlebter Gruppendruck, bei alkoholisierten Lenkern mitzufahren bzw. selbst alkoholisiert zu fahren. • Normenakzeptanz: Einstellung gegen eine Verschärfung der Alkoholbestimmungen im Straßenverkehr oder für eine Liberalisierung; gegen vermehrte polizeiliche Kontrollen; Anhaltung nur bei Verdachtsmomenten. • Gefahrenbewusstsein: Tolerante Einstellung gegenüber Lenkern, die alkoholisiert sind (u. a. wenn Person Beifahrer ist); geringe wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu haben; Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit, dass man noch fahrtüchtig ist. • Informationsdefizite: Wissensdefizite zu Alkoholresorption und -elimination sowie Alkoholwirkungen im Körper. Im Hinblick auf die schon genannte hohe Bedeutung der sozialen Erwünschtheit wurde dann noch eine Kontrollskala mit folgenden Kerninhalten hinzugefügt: • Alkoholspezifische Dissimulation Bewusste Beschönigung der Alkoholkonsumgewohnheiten, Scheinanpassung in Bezug auf Trinken und Fahren. Auf Grundlage dieser Leitprinzipien wurden dann insgesamt 108 Items konstruiert. Bei der Formulierung wurde auf eine möglichst verhaltensnahe Textierung geachtet, so dass sich der Leser in den Fragen wiederfinden kann und sowohl in Bezug auf die Formulierung als auch in Bezug auf den Inhalt sein Lebenskontext angesprochen wird. Gemäß dem lutherischen Prinzip „dem Volk aufs Maul schaun“ wurde dabei versucht, zu den einzelnen Dimensionen typische Fehleinstellungen von Klienten aus Begutachtung und Nachschulung zu finden und in möglichst genau deren Formulierungen wiederzugeben. Als Antwortmodus wurde eine 4-stufige Skala verwendet, mit der der Grad der Zustimmung zu jeder Aussage erfasst wird. Ein Beispiel-Item (ein Block mit fünf Items aus der Skala Informationsdefizite) ist in Abbildung 1 wiedergegeben. BLUTALKOHOL VOL. 42/2005

Supplement II 4. Alkohol im Körper wird besonders schnell abgebaut, ... ...wenn man starken Kaffee trinkt. ⎯⎯⎯⎯→ ...wenn man sich körperlich anstrengt und schwitzt (z.B. Tanzen, Sport betreiben). → ...wenn man im Freien arbeitet. ⎯⎯⎯⎯⎯→ ...wenn man ein kräftiges Essen zu sich nimmt. ⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ ...wenn man schläft. ⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ stimmt überhaupt nicht stimmt überhaupt nicht stimmt überhaupt nicht stimmt überhaupt nicht stimmt überhaupt nicht stimmt eher nicht stimmt eher nicht stimmt eher nicht stimmt eher nicht stimmt eher nicht stimmt eher schon stimmt eher schon stimmt eher schon stimmt eher schon stimmt eher schon Abb. 1: Beispiel-Items aus der TAAK-Skala Informationsdefizite. stimmt genau stimmt genau stimmt genau stimmt genau stimmt genau Diese erste Testversion des TAAK wurde einer Zufallsstichprobe von 380 Klienten der verkehrspsychologischen Routinediagnostik in neun Landesstellen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vorgegeben. Die Probanden bearbeiteten zusätzlich zu den üblichen Testverfahren eine Papier-Bleistift-Version des TAAK, wobei sie nicht darüber informiert wurden, dass die Ergebnisse nicht eignungsrelevant sind. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass die Bearbeitung des Fragebogens unter der in einer Ernstsituation herrschenden Motivationslage erfolgte. Ebenso wurden die GutachterInnen nicht über die TAAK-Ergebnisse informiert. Die Auswertung der Daten aus dieser ersten Feldphase erbrachte sowohl hinsichtlich der Verteilungsparameter als auch der Testkennwerte (Itemmittelwerte und -standardabweichungen, Item-Trennschärfen und Skalenreliabilitäten) großteils sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Im nächsten Arbeitsschritt konnte daher schon die Endversion des TAAK erstellt werden. Alle 6 Skalen wurden durch Elimination der Items mit den geringsten Trennschärfen auf 11 bzw. 12 Items gekürzt. TAAK enthält somit in seiner Endfassung 6 Skalen mit insgesamt 68 Items: Skala AE – Alkoholaffine Einstellungen (11 Items), Skala AU – Alkoholaffines Umfeld (11 Items), Skala NA – Normenakzeptanz (11 Items), Skala GF – Gefahrenbewusstsein (12 Items), Skala ID – Informationsdefizite (12 Items), Skala DS – Dissimulationsskala (11 Items). Diese Version wurde in Papier-Bleistift-Form wieder einer für das gesamtösterreichische Untersuchungsklientel repräsentativen Stichprobe von 473 Klienten zusätzlich zu den üblichen Testverfahren vorgegeben. Wieder wurden die Klienten nicht darüber informiert, dass sich das Verfahren noch im Versuchsstadium befand, um eine Vorgabe in einer Echtsituation zu simulieren. Gleichzeitig erhielten auch die Gutachter wieder keine Information über die TAAK-Ergebnisse, um ihre Eignungsfindung nicht zu beeinflussen. Zum Zwecke der Validierung des TAAK wurden an dieser Stichprobe auch eine Reihe von Anamnese- und Explorationsdaten erhoben (sozialanamnestische Daten zu Familie, Schulbildung, Beruf, Freizeitverhalten; verkehrsanamnestische Daten zu bisheriger Fahrpraxis, Unfällen und Strafen im Straßenverkehr; Alkoholkonsumgewohnheiten; Einschätzungen durch den Gutachter bezüglich der Rückfallwahrscheinlichkeit, alkoholspezifischer Informationsdefizite, Normenakzeptanz und Gefahrenbewusstsein; Eignungsurteil). Verteilung der Testwerte, Item- und Skalenkennwerte Die Rohsummenwerte der TAAK-Skalen sind durchwegs relativ symmetrisch verteilt, die Skalen AE, AU, ID und DS können als normalverteilt angesehen werden (Kolmogorov-Smirnov-Tests mit Alpha von 1%). Starke Deckeneffekte konnten weitgehend vermieden werden, eine ausreichend große Variationsbreite liegt bei jeder Skala vor. Details dazu sind dem Testhandbuch [9] sowie weiteren einschlägigen Publikationen [17, 18] zu entnehmen. Die internen Konsistenzen (Cronbach-Alpha-Werte) der sechs TAAK-Skalen liegen zwischen .79 und .87, die Item-Trennschärfen liegen überwiegend über .30, nur sechs der insgesamt 68 Items haben Trennschärfen (knapp) unter dieser Grenze. Validierung Neben der Sicherung der Inhaltsvalidität durch die Art der Testkonstruktion (Erfassung empirisch gesicherter Charakteristika alkoholauffälliger Kraftfahrer) wurde die Konstruktvalidität des TAAK durch Korrelationsana- 31 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005

30 Supplement II<br />

kehr sowie in dem verstärkten Glauben, trotz erheblichen <strong>Alkohol</strong>konsums (mehr als 0,8 Promille) noch fahrtüchtig<br />

zu sein. SIEGRIST [13] konnte in seinem handlungstheoretischen Modell zum Bedingungsgefüge wiederholten<br />

Fahrens in angetrunkenem Zustand ebenfalls eine Reihe von systematischen Unterschieden zwischen<br />

wiederholt alkoholauffälligen <strong>und</strong> unauffälligen Kraftfahrern aufzeigen, spricht von einem „enormen Diskr<strong>im</strong>inanzpotenzial“<br />

seines Datensatzes <strong>und</strong> regte dementsprechend selbst eine Testentwicklung zur Erfassung<br />

charakteristischer Merkmale alkoholauffälliger Kraftfahrer an.<br />

Die Vielzahl der identifizierten Variablen mit diskr<strong>im</strong>inativem Wert wurden dann zu vier Gruppen zusammengefasst.<br />

Im Folgenden dazu jeweils einige Beispiele:<br />

1. Auffällige Einstellungen zu Trink-Fahr-Konflikten <strong>und</strong> zum <strong>Alkohol</strong>konsum:<br />

negative Einstellung zu vermehrten polizeilichen Kontrollen; liberale Einstellung zu <strong>Alkohol</strong>normen <strong>im</strong><br />

Straßenverkehr; geringes subjektives Unfallrisiko; Wissensdefizite zu <strong>Alkohol</strong>metabolismus <strong>und</strong> <strong>Alkohol</strong>wirkung;<br />

Wahrnehmung rigider sozialer Normen in Bezug auf den Konsum von <strong>Alkohol</strong>; hoher subjektiver<br />

Druck, bei alkoholisierten Lenkern mitzufahren bzw. selbst alkoholisiert zu fahren; allgemein tolerante<br />

Trinkmoral; in Trinksituationen häufig negative Emotionen.<br />

2. Problematisches Verhalten <strong>im</strong> Straßenverkehr:<br />

Neigung zu risikofreudigerem Fahren; allgemeine Tendenz zu „sensation seeking“; Tendenz zu Geschwindigkeitsübertretungen;<br />

allgemeine Bereitschaft zur Regelübertretung; hoher emotionaler Stellenwert des<br />

Fahrzeuges.<br />

3. Persönliche Ressourcen:<br />

mangelnde Zukunftsperspektiven; geringe Kompetenz <strong>im</strong> Umgang mit Problemen; geringe Verhaltens- <strong>und</strong><br />

Entscheidungssicherheit.<br />

4. Biographische Variablen <strong>und</strong> Trinkverhalten:<br />

Alter <strong>und</strong> Geschlecht (höhere Gefährdung von Männern bis 35 Jahre); ausgeprägtere familiäre Schwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> finanzielle Belastungen; schlechtere berufliche Rahmenbedingungen; Vorbelastung mit <strong>Alkohol</strong>delikten<br />

<strong>im</strong> Straßenverkehr; erhöhte allgemeine Devianzneigung; auffälligere <strong>Alkohol</strong>anamnese.<br />

Im nächsten Schritt erfolgte eine Zuordnung dieser Merkmalsbereiche zu den verschiedenen diagnostischen<br />

Erhebungsinstrumenten, einerseits dem neu zu entwickelnden alkoholspezifischen Fragebogen TAAK <strong>und</strong> andererseits<br />

zu den schon bisher in der Fahreignungsdiagnostik verwendeten Testverfahren VPT.2, FRF <strong>und</strong> VIP<br />

bzw. der Exploration. Die TAAK zugeordneten Variablen lassen sich nach inhaltlichen Gesichtspunkten in 5 Kategorien<br />

gliedern, die gleichzeitig die Leitprinzipien bei der Item-Konstruktion darstellten:<br />

• <strong>Alkohol</strong>affine Einstellungen:<br />

Leistungsfunktion des <strong>Alkohol</strong>s, subjektive Bedeutung <strong>und</strong> erwartete Wirkung des <strong>Alkohol</strong>konsums<br />

(Abbau sozialer Hemmungen, Entspannung, Erlebnissteigerung, gesteigerte Kompetenz), tolerante Trinkmoral.<br />

• <strong>Alkohol</strong>affines Umfeld:<br />

Wahrnehmung rigider sozialer Normen in Bezug auf den Konsum von <strong>Alkohol</strong>; erlebter Gruppendruck, bei<br />

alkoholisierten Lenkern mitzufahren bzw. selbst alkoholisiert zu fahren.<br />

• Normenakzeptanz:<br />

Einstellung <strong>gegen</strong> eine Verschärfung der <strong>Alkohol</strong>best<strong>im</strong>mungen <strong>im</strong> Straßenverkehr oder für eine Liberalisierung;<br />

<strong>gegen</strong> vermehrte polizeiliche Kontrollen; Anhaltung nur bei Verdachtsmomenten.<br />

• Gefahrenbewusstsein:<br />

Tolerante Einstellung <strong>gegen</strong>über Lenkern, die alkoholisiert sind (u. a. wenn Person Beifahrer ist); geringe<br />

wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu haben; Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit, dass<br />

man noch fahrtüchtig ist.<br />

• Informationsdefizite:<br />

Wissensdefizite zu <strong>Alkohol</strong>resorption <strong>und</strong> -el<strong>im</strong>ination sowie <strong>Alkohol</strong>wirkungen <strong>im</strong> Körper.<br />

Im Hinblick auf die schon genannte hohe Bedeutung der sozialen Erwünschtheit wurde dann noch eine Kontrollskala<br />

mit folgenden Kerninhalten hinzugefügt:<br />

• <strong>Alkohol</strong>spezifische Diss<strong>im</strong>ulation<br />

Bewusste Beschönigung der <strong>Alkohol</strong>konsumgewohnheiten, Scheinanpassung in Bezug auf Trinken <strong>und</strong><br />

Fahren.<br />

Auf Gr<strong>und</strong>lage dieser Leitprinzipien wurden dann insgesamt 108 Items konstruiert. Bei der Formulierung<br />

wurde auf eine möglichst verhaltensnahe Textierung geachtet, so dass sich der Leser in den Fragen wiederfinden<br />

kann <strong>und</strong> sowohl in Bezug auf die Formulierung als auch in Bezug auf den Inhalt sein Lebenskontext angesprochen<br />

wird. Gemäß dem lutherischen Prinzip „dem Volk aufs Maul schaun“ wurde dabei versucht, zu den einzelnen<br />

D<strong>im</strong>ensionen typische Fehleinstellungen von Klienten aus Begutachtung <strong>und</strong> Nachschulung zu finden <strong>und</strong> in<br />

möglichst genau deren Formulierungen wiederzugeben. Als Antwortmodus wurde eine 4-stufige Skala verwendet,<br />

mit der der Grad der Zust<strong>im</strong>mung zu jeder Aussage erfasst wird. Ein Beispiel-Item (ein Block mit fünf Items<br />

aus der Skala Informationsdefizite) ist in Abbildung 1 wiedergegeben.<br />

BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong>

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