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Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

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Supplement II<br />

2. Warum ist es so schwierig, in einer Begutachtungssituation <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />

zu diagnostizieren?<br />

Die Probleme bei der Diagnose haben – wie bereits angesprochen – verschiedene Gründe:<br />

Es gehört zu den zentralen Charakteristika der psychischen <strong>und</strong>/oder körperlichen Abhängigkeit, dass die Betroffenen<br />

sich selbst über das Ausmaß ihrer Abhängigkeit bzw. das Ausmaß ihres Konsums täuschen. Im Hinblick<br />

auf den <strong>Alkohol</strong> kommt hinzu, dass in unserer Gesellschaft der <strong>Alkohol</strong>konsum so alltäglich <strong>und</strong> häufig ist, dass<br />

die Selbst- <strong>und</strong> Fremdtäuschung über das Ausmaß <strong>und</strong> die Häufigkeit des eigenen Konsums sehr erleichtert wird.<br />

Ferner existiert in der Bevölkerung ein gefährliches Halbwissen über die <strong>Alkohol</strong>erkrankung. Kennzeichnend für<br />

dieses Halbwissen ist, dass als Maßstab für das Eingestehen einer <strong>Alkohol</strong>erkrankung bzw. -abhängigkeit von<br />

den Betroffenen <strong>und</strong> ihren Angehörigen das äußere Erscheinungsbild des <strong>Alkohol</strong>kranken <strong>im</strong> späten Stadium der<br />

<strong>Alkohol</strong>erkrankung herangezogen wird. Die für dieses späte Stadium markanten Merkmale wie:<br />

• Unfähigkeit auch nur für kurze Zeiträume auf den <strong>Alkohol</strong>konsum zu verzichten,<br />

• Auftreten von Kontrollverlust nach Beginn des Konsums von <strong>Alkohol</strong>,<br />

• schwerwiegend eingeschränkte Arbeitsfähigkeit,<br />

• massiv erhöhte Leberfunktionswerte<br />

werden zu einer „naiven“ Selbstdiagnose genutzt. So ziehen die Betroffenen aus dem Sachverhalt, dass sie –<br />

beispielsweise bei einer Wette – noch in der Lage sind, zeitweilig auf den <strong>Alkohol</strong>konsum zu verzichten, den<br />

Schluss, dass bei ihnen keine <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit <strong>und</strong> noch nicht einmal <strong>Alkohol</strong>missbrauch bestehen könne.<br />

Da sich auch durch kurze Trinkpausen die körperlichen Bef<strong>und</strong>e vor dem Spätstadium der <strong>Alkohol</strong>erkrankung<br />

noch recht gut verbessern lassen, werden die Betroffenen auch noch von ihren Hausärzten häufig in dieser<br />

falschen Beurteilung unterstützt. Dies hängt wiederum damit zusammen, dass sich die Ärzte zwangsläufig an den<br />

(verbesserten) körperlichen Bef<strong>und</strong>en orientieren, die sich nach einer Trinkpause ergeben. So werden die Betroffenen<br />

allzu oft in ihrer falschen Selbstdiagnose bestätigt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist es „menschlich“ sehr gut<br />

nachvollziehbar, warum der größte Teil der Personen mit <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit selbst davon überzeugt ist, nicht<br />

alkoholabhängig zu sein. Soweit sie überhaupt Zweifel haben, werden sie diese <strong>im</strong> besten Fall be<strong>im</strong> behandelnden<br />

Arzt, aber eben nicht in der Begutachtungssituation äußern.<br />

Diese diagnostischen Probleme sind sogar <strong>im</strong> therapeutischen Bereich gegeben, also in einer Situation, in der<br />

die Betroffenen selbst um offene Mitarbeit bemüht sind, weil sie ja Hilfe suchen. Noch ungleich schwieriger ist<br />

die Situation bei der Begutachtung, da hier um die Fahrerlaubnis „gekämpft“ wird <strong>und</strong> daher die Bereitschaft zur<br />

offenen Mitarbeit sehr eingeschränkt oder gar nicht vorhanden ist. Wie schwierig die Diagnose „Abhängigkeit“<br />

auch unter günstigen Bedingungen ist, soll <strong>im</strong> Folgenden näher dargelegt werden.<br />

3. Diagnostische Kriterien für die Diagnose von Abhängigkeit<br />

3.1 Vorbemerkung zu den – unsicheren – medizinischen <strong>und</strong> psychotherapeutischen Kriterien für<br />

Abhängigkeit<br />

Es existiert kein körperliches Substrat für <strong>Alkohol</strong>erkrankung <strong>und</strong> -abhängigkeit. Die Diagnose von <strong>Alkohol</strong>abhängigkeit<br />

<strong>und</strong> -erkrankung muss sich daher <strong>im</strong>mer an den Schädigungen <strong>im</strong> körperlichen, psychischen <strong>und</strong><br />

sozialen Bereich orientieren, die sich als Folge langjährigen exzessiven <strong>Alkohol</strong>konsums ergeben. Auf der<br />

körperlichen Ebene werden diese Folgeschäden häufig erst <strong>im</strong> späten Stadium der Erkrankung deutlich wahrnehmbar.<br />

Aus diesen Gründen bedient man sich in der Medizin <strong>und</strong> in der Psychotherapie verschiedener<br />

Kriterien, aus denen nach allgemein akzeptierter Auffassung mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit auf<br />

Abhängigkeit <strong>und</strong> Erkrankung geschlossen werden kann.<br />

Problematisch ist hierbei zweierlei:<br />

Zum einen können solche Rückschlüsse auch falsch sein, zum anderen sind die meisten dieser Kriterien nur<br />

dann wirklich überprüfbar, wenn die Betroffenen selbst <strong>und</strong> ihre Angehörigen zu einer offenen <strong>und</strong> selbstkritischen<br />

Mitarbeit bereit <strong>und</strong> in der Lage sind.<br />

Im nächsten Schritt soll zunächst auf die einschlägigen medizinischen <strong>und</strong> psychotherapeutischen Kriterien<br />

eingegangen werden. Danach sollen die Konsequenzen für die diagnostischen Möglichkeiten in der Begutachtungssituation<br />

<strong>und</strong> deren Bedeutung für die Verkehrsverhaltensprognose erörtert werden.<br />

3.2 International anerkannte Kriterien der Abhängigkeitsdiagnose<br />

International akzeptiert sind die Kriterien des ICD-10 der WHO. Diese Kriterien liegen auch der geltenden<br />

FeV zu Gr<strong>und</strong>e. Dieser Katalog umfasst folgende Kriterien. Der entsprechende Kriterienkatalog wird hier wörtlich<br />

zitiert, damit präziser darauf Bezug genommen werden kann (DIPLING et al.[1994]):<br />

„Diagnostische Leitlinien:<br />

Die Diagnose Abhängigkeit soll nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder<br />

mehr der folgenden Kriterien vorhanden sind:<br />

– Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Substanzen oder <strong>Alkohol</strong> zu konsumieren.<br />

– Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung <strong>und</strong> der Menge des Substanz- oder<br />

<strong>Alkohol</strong>konsums.<br />

23<br />

BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong>

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