Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...

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10.12.2012 Aufrufe

214 Normbereich liegen, dürften dann im Sinne nicht (mehr) vorhandener Nachwirkungen interpretierbar sein. Ferner entsprechen die gemessenen Beeinträchtigungen der diffusen, fokussierten, selektiven und verteilten Aufmerksamkeit an sich den Erwartungen. So berichten WOLF- RAM & NICKEL [18] von starken Beeinträchtigungen durch chronischen Alkoholismus unter anderem auf dem Gebiet der Konzentrationsfähigkeit und kognitiver Kontrolle, der nichtverbalen Merk-, Lern- und Abstraktions-Fähigkeit. OSCAR-BERMANN und BONNER [12] weisen Beeinträchtigungen nach, die unter anderem auf Störungen der selektiven Aufmerksamkeit und auf Interferenzneigung hinweisen. Interferenzeffekte – auch lokale – werden durch das Testsystem Corporal unter selektiver Aufmerksamkeit, vgl. die dritte Anforderung in Abbildung 1, ebenfalls gemessen; zum einen allgemein (bei Gesunden) zum anderen mit zusätzlichem Leistungsdefizit bei den Alkoholikern. Auch das Wissen um einen Leistungsabfall nach Beginn der Alkoholabstinenz, im allgemeinen interpretiert als Entzugserscheinung, ist nicht gerade neu, wenngleich in Restitutionsverläufen nach Wissen der Verfasser mit den vergröberten Methoden bisher nicht gemessen. Hierbei ist aber sicher auch zu beachten, dass es sich bei Leistungen schlechthin immer um ein Produkt aus Fähigkeit und Motivation handelt. Somit können auch motivationale Komponenten für den Leistungsabfall von Bedeutung sein. Doch auch dabei kann es sich durchaus um Entzugserscheinungen (die von Betroffenen viel berichtete Lustlosigkeit) handeln. Interessant dürften aber Ausmaß und Dauer des Leistungsabfalls wie auch der Restitutionsphase sein, zumal sich die Verläufe in Abhängigkeit vom Alter und der Aufgabenkomplexität unterscheiden. Während BRINK & MCDOWD [7] an gesunden Personen einen Leistungsabfall im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit (Stroop-Interferenz) bei komplexeren Aufgaben fanden, zeigen unsere Daten bei den älteren Entwöhnungspatienten in Abbildung 5 sowohl einen geringeren Leistungsabfall als auch einen schnelleren Leistungsanstieg gegenüber den jüngeren gerade bei den komplexeren Aufgabentypen, zu denen die Interferenzaufgabe gehört. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei den angegebenen Werten um Differenzwerte zur gesunden Altersgruppe handelt, der gesunde Altersabfall also herausgerechnet ist, so dass es sich nicht um einen Widerspruch handelt. Was das Problem der Validierung von Beeinträchtigungen (im Unterschied zur Validierung der Messmethode) in Bezug auf die Aufgabenkomplexität betrifft, so bleibt zu bemerken, dass dieses bisher nicht befriedigend gelöst ist. TARTER und PARSONS [16] weisen z. B. auf alkoholbedingte Defizite beim Prüfen von Hypothesen (Wisconsin Card Sorting Test) in begriffsanalogen Klassifikationsleistungen hin. Beeinträchtigungen in komplexeren Anforderungen müssen jedoch nicht in dem Gegenstandsbereich angesiedelt sein, der durch das jeweilige Messinstrument angezielt ist. Die Störung kann stets in einem elementareren Bereich liegen, was in aller Regel nicht geprüft wird oder wegen der viel zu unterschiedlichen Materialgestaltung in der gegebenen Testvielfalt auch nicht schlüssig möglich ist. Um beim Beispiel des Wisconsin Tests zu bleiben, die Alkoholiker können einfach vergessen haben, worauf positive und negative Rückmeldungen erfolgt sind. Dann wäre das nicht als Defizit im schlussfolgernden Denken zu werten, sondern als Gedächtnisdefizit oder ein noch dahinter stehendes Aufmerksamkeitsdefizit. Eine Lösung dieses Validierungsproblems besteht in der Verwendung von Testsystemen auf der Basis eines einheitlichen Versuchsmaterials, wie eben bei dem hier verwendeten System „Corporal“. Mit diesem System (in der Normierung befinden sich ein Test zur Erfassung von Orientierungsfähigkeit als Perspektivübernahme sowie ein Test zur Erfassung BLUTALKOHOL VOL. 42/2005 Berg/Schubert, Aufmerksamkeitsdefizite bei Alkoholikern

Berg/Schubert, Aufmerksamkeitsdefizite bei Alkoholikern von Gedächtnisleistungen) ist es möglich, komplexere Leistungen durch „Zuliefer“-Leistungen untersetzend zu testen. Dadurch werden Leistungsdefizite differenzierter erfassbar und valider zuordenbar als bisher. Dies wiederum qualifiziert die Diagnostik nicht nur im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch im Sinne einer dadurch gegebenen Möglichkeit gezielter, effizienterer Interventionsmaßnahmen. Wenn man von der immer mehr in den Blickpunkt rückenden Altersentwicklung der Bevölkerung ausgeht, dann wird das Nachdenken über effiziente Interventionsmodelle im Sinne der Erhaltung von Mobilität im Alter schon in sehr naher Zukunft gefragt sein. Eines der Hauptergebnisse, dass insbesondere bei den Personen unter 35 Jahren nach 12 Wochen Alkoholentwöhnungsbehandlung die mittlere Leistungsfähigkeit der Altersgruppe noch nicht wieder hergestellt ist, muss nicht voreilig in eine Forderung nach pauschaler Verlängerung der Alkoholentwöhnungsbehandlung münden. Durch die auch innerhalb der Altergruppen unterschiedlichen Restitutionsverläufe ist vielmehr die Einzeltestung im Sinne einer Verlaufskontrolle nahe gelegt, durch die dann auch Verlängerungen der Behandlung im Einzelfall besser begründbar und Prognosen mit einem Mehr an Information gestellt werden können. Zu erwarten ist nach diesen Daten, dass bei jüngeren Alkoholerkrankten, wo psychofunktionale Beeinträchtigungen auch deutlich eher aufzutreten pflegen als körperliche, Verlängerungen eher in Frage kommen als bei den älteren. Nach den hier erhaltenen Daten sollte für die Diagnostik von Beeinträchtigungen allgemein – etwa in der Fahreignungsbegutachtung, bei der bisher ausschließlich Vergleiche zur Gesamtnorm vorgenommen werden – weitere Evidenz für das Heranziehen von Altersnormen deutlich geworden sein. Die Differenzbildung zwischen erreichter und altersgemäß zu erreichender Leistung macht allerdings ein Abgehen von Prozentrangwerten erforderlich (vgl. auch dazu [13]). Worin liegt nun die Aussagekraft einer mit Leistungstests vorgenommenen Diagnostik von Beeinträchtigungen, wenn die Weiterverwendung der Testergebnisse über die zielgerichtete therapeutische Intervention hinausgehen soll? Das ist zum Beispiel dann gefragt, wenn die Beeinträchtigung mit einer Eignungsfrage verknüpft wird, wie einleitend als Beispiel aus einem wichtigen Anwendungsfeld genannt: Liegen aufgrund eines unkontrollierten Konsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen der beantragten Klasse(n) in Frage stellen? Ist es da nicht doch besser, die Eignungsfrage direkt zu prüfen, d. h. zur Diagnostik von Beeinträchtigungen auf Leistungstests zu verzichten? Genau genommen, könnte diese Frage anhand von Leistungstests nur dadurch beantwortet werden, dass man alle vorhandenen perzeptiven und kognitiven Funktionen abprüft, was praktisch nicht durchführbar ist. Aber auch mit einer Fahrverhaltens-Beobachtung [5] ist dies nicht machbar, denn diese enthält bei weitem nicht alle Situationen, in denen die vollständige Menge der möglichen Funktionen abgefordert werden, die, im vorliegenden Fall durch Alkohol, beeinträchtigt sein könnten. Die Fahrsituation fordert eine generell und aktuell nicht umschriebene Teilmenge an psychophysischen Funktionen in einem synthetischen, nicht auflösbaren Zusammenspiel ab, von der man nur sagen kann, dass sie fahrrelevant ist. Hingegen bilden wissenschaftliche Testverfahren im analytischen Sinne gezielt bestimmte perzeptive oder kognitive Funktionen ab, und die Validierung des jeweiligen Testverfahrens hat nachzuweisen, welche Funktionen das sind. Deshalb ist es wegen des prinzipiellen Unterschieds zwischen Fahrverhaltens- und Testleistung auch aus unserer Sicht (siehe dazu [13], im Unterschied dazu [5]) nicht angezeigt, wissenschaftliche 215 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005

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Normbereich liegen, dürften dann <strong>im</strong> Sinne nicht (mehr) vorhandener Nachwirkungen<br />

interpretierbar sein.<br />

Ferner entsprechen die gemessenen Beeinträchtigungen der diffusen, fokussierten,<br />

selektiven <strong>und</strong> verteilten Aufmerksamkeit an sich den Erwartungen. So berichten WOLF-<br />

RAM & NICKEL [18] von starken Beeinträchtigungen durch chronischen <strong>Alkohol</strong>ismus<br />

unter anderem auf dem Gebiet der Konzentrationsfähigkeit <strong>und</strong> kognitiver Kontrolle, der<br />

nichtverbalen Merk-, Lern- <strong>und</strong> Abstraktions-Fähigkeit. OSCAR-BERMANN <strong>und</strong> BONNER<br />

[12] weisen Beeinträchtigungen nach, die unter anderem auf Störungen der selektiven<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> auf Interferenzneigung hinweisen. Interferenzeffekte – auch lokale –<br />

werden durch das Testsystem Corporal unter selektiver Aufmerksamkeit, vgl. die dritte<br />

Anforderung in Abbildung 1, ebenfalls gemessen; zum einen allgemein (bei Ges<strong>und</strong>en)<br />

zum anderen mit zusätzlichem Leistungsdefizit bei den <strong>Alkohol</strong>ikern.<br />

Auch das Wissen um einen Leistungsabfall nach Beginn der <strong>Alkohol</strong>abstinenz, <strong>im</strong> allgemeinen<br />

interpretiert als Entzugserscheinung, ist nicht gerade neu, wenngleich in Restitutionsverläufen<br />

nach Wissen der Verfasser mit den vergröberten Methoden bisher nicht gemessen. Hierbei<br />

ist aber sicher auch zu beachten, dass es sich bei Leistungen schlechthin <strong>im</strong>mer um ein<br />

Produkt aus Fähigkeit <strong>und</strong> Motivation handelt. Somit können auch motivationale Komponenten<br />

für den Leistungsabfall von Bedeutung sein. Doch auch dabei kann es sich durchaus um<br />

Entzugserscheinungen (die von Betroffenen viel berichtete Lustlosigkeit) handeln.<br />

Interessant dürften aber Ausmaß <strong>und</strong> Dauer des Leistungsabfalls wie auch der Restitutionsphase<br />

sein, zumal sich die Verläufe in Abhängigkeit vom Alter <strong>und</strong> der Aufgabenkomplexität<br />

unterscheiden. Während BRINK & MCDOWD [7] an ges<strong>und</strong>en Personen einen<br />

Leistungsabfall <strong>im</strong> Bereich der selektiven Aufmerksamkeit (Stroop-Interferenz) bei komplexeren<br />

Aufgaben fanden, zeigen unsere Daten bei den älteren Entwöhnungspatienten<br />

in Abbildung 5 sowohl einen geringeren Leistungsabfall als auch einen schnelleren Leistungsanstieg<br />

<strong>gegen</strong>über den jüngeren gerade bei den komplexeren Aufgabentypen, zu denen<br />

die Interferenzaufgabe gehört. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei den angegebenen<br />

Werten um Differenzwerte zur ges<strong>und</strong>en Altersgruppe handelt, der ges<strong>und</strong>e Altersabfall<br />

also herausgerechnet ist, so dass es sich nicht um einen Widerspruch handelt.<br />

Was das Problem der Validierung von Beeinträchtigungen (<strong>im</strong> Unterschied zur Validierung<br />

der Messmethode) in Bezug auf die Aufgabenkomplexität betrifft, so bleibt zu bemerken,<br />

dass dieses bisher nicht befriedigend gelöst ist. TARTER <strong>und</strong> PARSONS [16] weisen<br />

z. B. auf alkoholbedingte Defizite be<strong>im</strong> Prüfen von Hypothesen (Wisconsin Card Sorting<br />

Test) in begriffsanalogen Klassifikationsleistungen hin. Beeinträchtigungen in komplexeren<br />

Anforderungen müssen jedoch nicht in dem Gegenstandsbereich angesiedelt sein, der<br />

durch das jeweilige Messinstrument angezielt ist. Die Störung kann stets in einem elementareren<br />

Bereich liegen, was in aller Regel nicht geprüft wird oder wegen der viel zu<br />

unterschiedlichen Materialgestaltung in der gegebenen Testvielfalt auch nicht schlüssig<br />

möglich ist. Um be<strong>im</strong> Beispiel des Wisconsin Tests zu bleiben, die <strong>Alkohol</strong>iker können<br />

einfach vergessen haben, worauf positive <strong>und</strong> negative Rückmeldungen erfolgt sind. Dann<br />

wäre das nicht als Defizit <strong>im</strong> schlussfolgernden Denken zu werten, sondern als Gedächtnisdefizit<br />

oder ein noch dahinter stehendes Aufmerksamkeitsdefizit.<br />

Eine Lösung dieses Validierungsproblems besteht in der Verwendung von Testsystemen<br />

auf der Basis eines einheitlichen Versuchsmaterials, wie eben bei dem hier verwendeten<br />

System „Corporal“. Mit diesem System (in der Normierung befinden sich ein Test zur Erfassung<br />

von Orientierungsfähigkeit als Perspektivübernahme sowie ein Test zur Erfassung<br />

BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong><br />

Berg/Schubert,<br />

Aufmerksamkeitsdefizite bei <strong>Alkohol</strong>ikern

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