Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...
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Dokumentation Eröffnungsansprache Im vergangenen Jahr habe ich an RICHARD SPIEGELS Mahnung erinnert, nach der jede Verkehrsvorschrift nur so viel wert sei, wie sie überwacht werde. Da mir die Souveränität des ersten Kanzlers dieser Republik, KONRAD ADENAUER, fehlt, der auf den Vorhalt eigener früherer Aussagen mit dem geflügelten Wort reagierte „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“, möchte ich darauf zurückkommen und Grenzen des Prinzips „Kontrolle“ ansprechen. Kontrolle ist gut, Kontrolle ist nötig, aber es kommt nicht nur darauf an, was, wie, und zu welchem Zweck kontrolliert wird; es muss auch für die Kontrolle der Kontrolleure gesorgt sein, und es gilt zu akzeptieren, dass manchmal Vertrauen nicht nur unabdingbar ist, sondern auch das bessere Prinzip. Vertrauen freilich ist nicht gerade das typische Grundprinzip von Verwaltungshandeln, und das um so weniger, je zentraler die jeweilige Verwaltungsebene angesiedelt ist, d. h. ja auch, je weiter weg von den konkreten Problemsachverhalten. Sie sehen, ich beginne von Europa zu reden. Bis 2010, so hat der seinerzeit zuständige Brüsseler Kommissar LIIKAANEN postuliert, solle die Zahl der Verkehrstoten in Europa halbiert werden. Mein verehrter Vorgänger Dr. MACKE hat das an dieser Stelle als ein lohnenswertes Ziel bezeichnet. Wer wäre ich, dem zu widersprechen? Indes, als aufmerksamer Bürger dieser Republik fühlt man sich auch bei einer solchen Agenda für das Jahr 2010 doch zur Skepsis aufgerufen, da man sich noch an das erklärte Ziel eines früheren Kanzlers erinnern mag, die damals wesentlich niedrigere Arbeitslosenzahl zu halbieren. Aber nicht nur deshalb bin ich skeptisch. Beziffert man die Forderung LIIKAANENS konkret, könnte man wie folgt formulieren: Die Brüsseler Kommission strebt an, dass im Jahre 2010 20 000 Menschen in Europa im Straßenverkehr sterben. Das klingt freilich weniger gut, es ist aber nur eine – zugegeben – unfreundliche sprachliche Umformulierung; warum diese? Wir könnten uns sicher alle einigen auf den Satz, dass jeder Tod, dass jede Verletzung im Straßenverkehr, letztlich also, dass jeder Verkehrsunfall einer zu viel ist. Also gilt es unablässig daran zu arbeiten, dass deren Zahl verringert wird. Planzahlen für Verkehrstote vorzugeben aber könnte zu dem Fehlverständnis führen, das sei planbar nach dem Prinzip „Ziel bestimmen, Mittel für die Zielerreichung festlegen, umsetzen und schließlich: Ziel erreicht.“ Mir scheint eine solche, sicherlich in Brüssel nicht gewollte, Bürokratendenkweise nicht der richtige Weg, vielmehr gilt es sich darauf einzurichten, dass Verkehr immer zu Unfällen führen wird, und dass es immer Ziel aller Beteiligten sein muss, schon die Zahl der Unfälle zu verringern, und sodann die bei den doch zu erwartenden Unfällen zu befürchtenden Folgen insgesamt so gering wie möglich zu halten. Eine solche Sicherheitsarbeit auf allen Ebenen ist nötig. Hilfreich dafür ist es, Unfallursachen zu ermitteln und sich aufmerksam den Fragen zuzuwenden, wie man dort präventiv ansetzen kann. Kontrolle wird dabei sicherlich ein zentrales Element sein. Was aber heißt Kontrolle genau? Nach den Brüsseler Vorstellungen, wie sie in zwei Arbeitskreisen dieses Verkehrsgerichtstages diskutiert werden, heißt Kontrolle im wesentlichen repressives Vorgehen gegen Verkehrsverstöße und offenbar auch eine regelmäßige Überprüfung der Kraftfahrer, vor allem wenn sie älter werden, auf ihre Gesundheit. Begonnen sei mit letzterem, weil sich solche Pläne in einer Richtlinie, also bindendem Recht für alle Staaten der Union, zu ver- 125 BLUTALKOHOL VOL. 42/2005
126 Dokumentation dichten drohen. Begründet werden Pläne, alle Fahrerlaubnisse müssten im Zehnjahresrhythmus, für ältere Kfz-Teilnehmer gar alle fünf Jahre, erneuert werden, im wesentlichen mit der Behauptung, das diene der Erleichterung der Freizügigkeit. Konkret also: Eine ältere deutsche Bürgerin darf mit ihrem Pkw und mit ihrer Fahrerlaubnis aus dem Jahre z. B. 1970 zukünftig je nach Ausgang der Überprüfung in ganz Europa nach einer Fünfjahreskontrolle nicht mehr fahren; nach geltender Rechtsprechung des EuGH dürfte sie dies, weil jede nationale Regelung von den übrigen Ländern zu respektieren ist. Dass sie es zukünftig nicht mehr dürfte, ja das wäre wohl eine enorme Erleichterung der Freizügigkeit. (Eine Erleichterung der Kontrolle der Gültigkeit der jeweiligen national erteilten Fahrerlaubnisse – das dürfte wohl wirklich mit Erleichterung der Freizügigkeit gemeint sein – ließe sich tatsächlich mühelos mit einem entsprechenden Vermerk auf dem Dokument Führerschein erreichen.) Mir scheint darin ein Beispiel vorzuliegen für eine zentrale Kontrollfreude fernab von konkreten Problemen; im Hinblick auf weitere Einzelheiten will ich insoweit dem zuständigen Arbeitskreis nicht vorgreifen. Nicht viel anders scheint es mir mit den Vorschlägen zu liegen, die sich zur Erreichung des „Zieles 2010“ in Sachen Verkehrssicherheit abzeichnen. Die Hochrechnung lautet: Reduzieren wir die drei Hauptursachen für vermeidbare Verkehrstode, nämlich Geschwindigkeitsübertretungen, Alkohol am Steuer und Fahren ohne Gurt, so bringt das schon einen erheblichen Teil der „Halbierung“; einverstanden: Nur wie? Das Rezept aus Brüssel lautet: möglichst viel Kontrolle und Repression. Nichts gegen Kontrolle, und auch nichts gegen den Ansatz, dass vielfach nur repressives Vorgehen im Anschluss an Kontrollen helfen mag, aber doch bitte mit Augenmaß: Eine in Deutschland erreichte Gurtanlegequote von über 90 % – und das bei einer doch eher maßvollen Bußgeldhöhe für den Fall der Zuwiderhandlung – ist eine in vielerlei Hinsicht traumhafte Quote in Sachen Gesetzestreue. Könnte man sie auf Steuerehrlichkeit übertragen, dürfte die Haushaltssanierung leicht fallen. Wer dann noch etwas an – wünschenswerter! – Verbesserung erreichen will, muss wohl doch mit etwas mehr administrativer Fantasie arbeiten als mit dem Reflex „Kontrolle und Geldbußen“. Warum also generalisierende Ratschläge, wo offenbar sehr unterschiedliche konkrete Situationen betroffen sind? (Ein Wort sei gestattet zur vielleicht bei Ihnen aufkommenden Frage, was denn gegen „Empfehlungen“ einzuwenden sei: Nach meinen bisherigen Eindrücken haben solche Empfehlungen aus Brüssel die fatale Neigung, sich auf rechtlich recht unterschiedlichen Wegen zu bindendem Recht zu verwandeln.) Als richtig erscheint mir der Ansatz, Geschwindigkeitsüberschreitungen mit Kontrollen und mit Strafen zu begegnen. Nach der Logik von zur Zeit in Europa vielfach Regierenden soll nun aber vermehrte Kontrolle nicht zu vermehrten ökonomisch messbaren Kosten führen dürfen. Also wird empfohlen nicht nur die Kontrollen zu automatisieren, sondern gleichsam auch die Sanktionierung: Die Buße für eine Geschwindigkeitsüberschreitung durch ein bei der Kontrolle registriertes Kraftfahrzeug soll strikt dessen Halter auferlegt werden, gleichgültig, ob er auch gefahren ist. Die Buße sei keine kriminelle Sanktion, und der Halter könne sich ja beim eigentlichen Sünder, dem Fahrer, das Geld wiederholen. Das funktioniere in den Niederlanden bestens, es gebe dort kaum Einsprüche gegen solche Bescheide. Kein Wunder – warum soll man noch Rechtsschutz bei Gericht suchen, wenn die Verteidigung nutzlos ist, man habe die Tat nicht begangen, sondern – falls sie denn begangen worden sei – ein anderer, wenn man also auch schuldlos Opfer von Sanktionen werden BLUTALKOHOL VOL. 42/2005
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Eröffnungsansprache<br />
Im vergangenen Jahr habe ich an RICHARD SPIEGELS Mahnung erinnert, nach der jede Verkehrsvorschrift<br />
nur so viel wert sei, wie sie überwacht werde. Da mir die Souveränität des<br />
ersten Kanzlers dieser Republik, KONRAD ADENAUER, fehlt, der auf den Vorhalt eigener<br />
früherer Aussagen mit dem geflügelten Wort reagierte „Was kümmert mich mein<br />
Geschwätz von gestern?“, möchte ich darauf zurückkommen <strong>und</strong> Grenzen des Prinzips<br />
„Kontrolle“ ansprechen. Kontrolle ist gut, Kontrolle ist nötig, aber es kommt nicht nur darauf<br />
an, was, wie, <strong>und</strong> zu welchem Zweck kontrolliert wird; es muss auch für die Kontrolle<br />
der Kontrolleure gesorgt sein, <strong>und</strong> es gilt zu akzeptieren, dass manchmal Vertrauen nicht nur<br />
unabdingbar ist, sondern auch das bessere Prinzip.<br />
Vertrauen freilich ist nicht gerade das typische Gr<strong>und</strong>prinzip von Verwaltungshandeln,<br />
<strong>und</strong> das um so weniger, je zentraler die jeweilige Verwaltungsebene angesiedelt ist, d. h. ja<br />
auch, je weiter weg von den konkreten Problemsachverhalten. Sie sehen, ich beginne von<br />
Europa zu reden.<br />
Bis 2010, so hat der seinerzeit zuständige Brüsseler Kommissar LIIKAANEN postuliert,<br />
solle die Zahl der Verkehrstoten in Europa halbiert werden. Mein verehrter Vorgänger Dr.<br />
MACKE hat das an dieser Stelle als ein lohnenswertes Ziel bezeichnet. Wer wäre ich, dem<br />
zu widersprechen? Indes, als aufmerksamer Bürger dieser Republik fühlt man sich auch<br />
bei einer solchen Agenda für das Jahr 2010 doch zur Skepsis aufgerufen, da man sich noch<br />
an das erklärte Ziel eines früheren Kanzlers erinnern mag, die damals wesentlich niedrigere<br />
Arbeitslosenzahl zu halbieren. Aber nicht nur deshalb bin ich skeptisch. Beziffert man<br />
die Forderung LIIKAANENS konkret, könnte man wie folgt formulieren: Die Brüsseler<br />
Kommission strebt an, dass <strong>im</strong> Jahre 2010 20 000 Menschen in Europa <strong>im</strong> Straßenverkehr<br />
sterben. Das klingt freilich weniger gut, es ist aber nur eine – zugegeben – unfre<strong>und</strong>liche<br />
sprachliche Umformulierung; warum diese?<br />
Wir könnten uns sicher alle einigen auf den Satz, dass jeder Tod, dass jede Verletzung <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr, letztlich also, dass jeder Verkehrsunfall einer zu viel ist. Also gilt es unablässig<br />
daran zu arbeiten, dass deren Zahl verringert wird.<br />
Planzahlen für Verkehrstote vorzugeben aber könnte zu dem Fehlverständnis führen, das<br />
sei planbar nach dem Prinzip „Ziel best<strong>im</strong>men, Mittel für die Zielerreichung festlegen,<br />
umsetzen <strong>und</strong> schließlich: Ziel erreicht.“ Mir scheint eine solche, sicherlich in Brüssel<br />
nicht gewollte, Bürokratendenkweise nicht der richtige Weg, vielmehr gilt es sich darauf<br />
einzurichten, dass Verkehr <strong>im</strong>mer zu Unfällen führen wird, <strong>und</strong> dass es <strong>im</strong>mer Ziel aller<br />
Beteiligten sein muss, schon die Zahl der Unfälle zu verringern, <strong>und</strong> sodann die bei den<br />
doch zu erwartenden Unfällen zu befürchtenden Folgen insgesamt so gering wie möglich<br />
zu halten. Eine solche Sicherheitsarbeit auf allen Ebenen ist nötig. Hilfreich dafür ist es,<br />
Unfallursachen zu ermitteln <strong>und</strong> sich aufmerksam den Fragen zuzuwenden, wie man dort<br />
präventiv ansetzen kann. Kontrolle wird dabei sicherlich ein zentrales Element sein. Was<br />
aber heißt Kontrolle genau?<br />
Nach den Brüsseler Vorstellungen, wie sie in zwei Arbeitskreisen dieses Verkehrsgerichtstages<br />
diskutiert werden, heißt Kontrolle <strong>im</strong> wesentlichen repressives Vorgehen <strong>gegen</strong><br />
Verkehrsverstöße <strong>und</strong> offenbar auch eine regelmäßige Überprüfung der Kraftfahrer, vor<br />
allem wenn sie älter werden, auf ihre Ges<strong>und</strong>heit. Begonnen sei mit letzterem, weil sich<br />
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