Blutalkohol 2005 - BADS (Bund gegen Alkohol und Drogen im ...
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<strong>Drogen</strong> gehabt <strong>und</strong> begonnen, THC (Tetrahydrocannabinol)<br />
zu rauchen. Etwa vom 20.–23. Lebensjahr<br />
sei er dann „abgesackt, <strong>im</strong>mer tiefer in die Szene abgerutscht“<br />
<strong>und</strong> habe Heroin intravenös appliziert. In dieser<br />
Zeit habe er „nicht mehr arbeiten können“. Nach der<br />
stationären Entgiftungsbehandlung vom 19.–28. Oktober<br />
1994 <strong>und</strong> nach Kontaktaufnahme mit der zuständigen<br />
Suchtberatungsstelle sei er dann 1995 bei Dr. N.<br />
in das Polamidon-Programm aufgenommen worden.<br />
Dr. N. hat am 03. Januar 2002 ärztlich bestätigt, dass<br />
der Kläger von ihm seit dem 30. Januar 1995 mit Methadon<br />
substituiert werde <strong>und</strong> die Anfangsdosis von<br />
120 mg inzwischen auf 40 mg reduziert worden sei<br />
<strong>und</strong> eine weitere allmähliche Reduktion vorgesehen<br />
sei. Zusätzlich hat er dem Kläger bestätigt, dass dieser<br />
in all den Jahren Kooperationsbereitschaft gezeigt <strong>und</strong><br />
ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe. Die derzeitige<br />
Dosis sei <strong>im</strong> untersten Bereich der Substitution anzusiedeln,<br />
<strong>und</strong> er traue dem Kläger auch auf längere<br />
Sicht gesehen ein Leben in <strong>Drogen</strong>freiheit zu. Der<br />
Kläger habe sich ein Arbeitsfeld aufgebaut <strong>und</strong> eine<br />
Familie gegründet (unstreitig hat er Mitte 2000 geheiratet<br />
<strong>und</strong> ist am 14. Februar 2002 Vater eines zweiten<br />
Kindes geworden).<br />
Der Gerichtsgutachter ist nach gründlicher, auch<br />
testpsychologischer Untersuchung zu dem Ergebnis<br />
gelangt, dass der Kläger infolge des Unfallgeschehens<br />
<strong>und</strong> den sich daraus nachfolgend ergebenden physischen<br />
<strong>und</strong> psychischen Beeinträchtigungen eine chronische<br />
Anpassungsstörung mit Angst <strong>und</strong> depressiver<br />
Reaktion mit der Folge einer „sek<strong>und</strong>ären“ <strong>Drogen</strong>abhängigkeit<br />
(<strong>im</strong> Sinne einer „Selbstmedikation“) entwickelt<br />
hat. Dadurch sei seine Leistungsfähigkeit derart<br />
eingeschränkt, dass er einer vollschichtigen<br />
Beschäftigung nicht nachkommen könne <strong>und</strong> auch<br />
Umschulungsmaßnahmen nicht erfolgreich abschließen<br />
könne.<br />
Überzeugend führt der Sachverständige aus, dass<br />
der die körperliche Unversehrtheit schwerwiegend<br />
verletzende Unfall den Kläger mit knapp 17 Jahren<br />
noch in der Pubertätsphase getroffen habe <strong>und</strong> somit in<br />
einer der größten Krisen in der Entwicklung eines<br />
Menschen. In dieser Übergangsphase der Entwicklung,<br />
mit dem Bedürfnis nach Identifikation bzw.<br />
Identitätsfindung, aber auch dem Streben nach psychischem<br />
<strong>und</strong> sozialen Veränderungen, auch in der Einstellung<br />
zum eigenen Körper, wird der Verlust eines<br />
früheren intakten Körperschemas unbewusst mit dem<br />
Tod einer bedeutenden Bezugsperson verglichen <strong>und</strong><br />
löst einen „Trauerprozess“ aus, der weniger gut bewältigt<br />
wird, wenn das Unfallereignis nicht als eigenverantwortlich<br />
verursacht, sondern als von dem Betroffenen<br />
unvermeidbar erlebt wird. Die erhebliche<br />
Umstrukturierung der gewohnten Lebensbedingungen<br />
eines geselligen <strong>und</strong> sportlich aktiven jungen Menschen<br />
an die unfallbedingt entstandene Bewegungseinschränkung,<br />
an Schmerzen <strong>und</strong> an die sichtbare Behinderung<br />
be<strong>im</strong> Gehen <strong>und</strong> die entstellenden Narben<br />
<strong>im</strong> Verletzungs- bzw. Operationsbereich führen auch<br />
<strong>im</strong> psychischen Bereich zu erheblichen Beeinträchtigungen.<br />
Der Betroffene „schämt“ sich aufgr<strong>und</strong> seiner<br />
Rechtsprechung<br />
79<br />
körperlichen Behinderung, fühlt sich als „Krüppel,<br />
minderwertig <strong>und</strong> Mensch zweiter Klasse“, zieht sich<br />
sozial zurück <strong>und</strong> hadert mit seinem Schicksal. Diese<br />
Entwicklung wird noch verstärkt, wenn, wie vom Kläger<br />
berichtet, frühere Sportkameraden auf seine Situation<br />
nicht adäquat <strong>und</strong> taktvoll reagieren <strong>und</strong> vor allem<br />
dann, wenn es, namentlich <strong>im</strong> Verlauf der begonnenen<br />
Umschulung, auch zu Hänseleien wegen der Beinbehinderung<br />
kommt. In dieser Zeit kam der Kläger nach<br />
Ausführung des Sachverständigen mit <strong>Drogen</strong>, zunächst<br />
Cannabis, in Kontakt, dessen Konsum ihm <strong>im</strong><br />
Verlauf eine deutliche Entlastung seiner psychischen<br />
Problematik brachte. Nach Genuss dieser Droge empfand<br />
er u. a. eine „wohlige“ Indifferenz, eine lässigheitere,<br />
angenehme Euphorie sowie eine Veränderung<br />
des Zeit- <strong>und</strong> Raumerlebens <strong>und</strong> der Realität. Sowohl<br />
die Schmerzen als auch das Bewusstsein, „zeitlebens<br />
ein Krüppel, minderwertig zu sein“, traten dabei in den<br />
Hintergr<strong>und</strong>.<br />
2. Im Ergebnis ohne Erfolg wenden die Beklagten<br />
ein, der Kläger habe schon vor dem Unfall <strong>Drogen</strong> genommen.<br />
(wird ausgeführt)<br />
3. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger<br />
schon vor dem Unfall seelisch vermehrt labil war, ändert<br />
dies nichts daran, dass der Schädiger gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
haftungsrechtlich auch dann für entstandene Schäden<br />
einzustehen hat (vgl. z. B. BGH VersR 1993, 589,<br />
590). Es gibt auch keine relevanten Belege dafür, dass<br />
der Kläger aufgr<strong>und</strong> seiner besonderen Persönlichkeitsstruktur<br />
den Unfall jediglich zum Anlass n<strong>im</strong>mt,<br />
latente innere Konflikte zu kompensieren <strong>und</strong> eine<br />
nicht mehr zu tolerierende Begehrensneurose entwi–<br />
ckelt hat. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, liegen<br />
be<strong>im</strong> Kläger aufgr<strong>und</strong> der Testergebnisse solche<br />
Begehrensvorstellungen nicht vor.<br />
4. Der Senat verkennt nicht, dass zwar nicht der<br />
<strong>Drogen</strong>konsum selbst, wohl aber der Besitz <strong>und</strong> die<br />
Beschaffung von <strong>Drogen</strong> strafbar <strong>und</strong> vielfach von Beschaffungskr<strong>im</strong>inalität<br />
begleitet ist. Hier kann es <strong>im</strong><br />
Einzelfall bei Schadensersatzansprüchen eines <strong>Drogen</strong>konsumenten<br />
zu einem Konflikt mit schutzwürdigen<br />
Belangen des Anspruchsgegners kommen. So<br />
wird <strong>im</strong> Bereich des Opferentschädigungsrechts die<br />
Auffassung vertreten, dass der Sinn der Entschädigungsleistung<br />
nicht gewahrt bleibt, wenn ein Opfer<br />
Angehöriger einer Gruppe, namentlich aus der <strong>Drogen</strong>szene<br />
ist, die sich außerhalb der Rechtsordnung<br />
stellt, <strong>und</strong> er dort zu Schaden kommt. So werden Ges<strong>und</strong>heitsstörungen,<br />
die durch Auseinandersetzungen<br />
innerhalb des <strong>Drogen</strong>milieus entstanden sind, als eine<br />
der <strong>Drogen</strong>szene eigentümliche Gefahrenverwirklichung<br />
angesehen, deren Entschädigung unbillig ist<br />
(vgl. HessLSG, Urt. v. 24. September 2002 – L 4 VG<br />
1055/99 –). Hiermit ist der vorliegende Fall jedoch<br />
nicht vergleichbar. Zwar hat der Kläger vor dem Gutachter<br />
erklärt, er sei „abgesackt, <strong>im</strong>mer tiefer in die<br />
Szene abgerutscht“. Die hier in Rede stehenden Ersatzansprüche<br />
betreffen jedoch nicht solche, die aus<br />
Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern dieser<br />
Szene entstanden sind. Insbesondere können Beschränkungen,<br />
die für eine Opferentschädigung aus<br />
BLUTALKOHOL VOL. 42/<strong>2005</strong>