Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

höchstwahrscheinlich in Bandenform organisieren, unter einem mehr oder
weniger autoritären und mächtigen Bandenführer, und mehr oder weniger
nach dem Recht des Stärkeren. Selbstregierte Republiken sind höchst künstliche,
von erwachsenen Erziehern gezielt eingeführte erzieherische Instrumente,
die ohne beständige erzieherische Einflußnahme leicht in Terrorregimes 42
von mächtigen Teilgruppen über Jüngere und Schwächere umschlagen können.
Willkür und Terror werden nicht besser dadurch, daß sie von Jugendlichen,
also Gleichaltrigen, ausgeübt werden (obwohl man Selbstregierung
auch so verstehen könnte). Hier geht es um die demokratische Lebensweise,
nicht um die Unabhängigkeit einer Altersgruppe um jeden Preis.
Die in Kapitel 9.1. beschriebenen frühneuzeitlichen Helfer- und Präfektensysteme,
die häufig in brutalen Veteranismus umschlugen, und auch die Erfahrungen
mit anderen Insassensubkulturen sind ein ernstzunehmendes abschreckendes
Beispiel, das von Selbstregierungskritikern gelegentlich auch
vorgebracht wird und implizit hinter allen Befürchtungen steht, daß Beamte
stolz und überheblich werden könnten, oder daß Amtsbefugnisse, insbesondere
die Strafbefugnis (Gericht!), zu privaten Zwecken mißbraucht werden
(etwa bei Brosse, Herrmann, Papanek).
Allerdings darf nicht vergessen werden, daß der Terror der Mehrheit gegen
Minderheiten (etwa über Volksabstimmungen bei Gericht) ebenso die Demokratie
unterhöhlt wie der Terror einer Minderheit.
4.2.4. Versteckte Fernsteuerung der Selbstregierung durch
Erzieher
Die Machtübernahme durch die Erzieher, die hinter einer Kulisse von Selbstbestimmung
die Entscheidungen und Vorgänge heimlich fernsteuern, degradiert
die Selbstregierung zur schwer durchschaubaren Illusion, zum schlechten
Schein und zum Betrug, zur vorgegaukelten Selbständigkeit.
Gerade dies wird als effektives Herrschaftsinstrument von zwei äußerst
einflußreichen pädagogischen Autoren aber empfohlen: von F. W. Foerster
und Jean Jacques Rousseau (dazu Kapitel 5).
42 Ein vielfach genanntes Beispiel ist der (auch verfilmte) Roman Herr der Fliegen von
William Golding (1974), in dem eine englische Schulklasse auf eine Insel verschlagen
wird, wobei ihre anfänglich noch funktionierende demokratische Schülerselbstverwaltung
rasch in mörderischen Bandenterror ausartet.
Neill (1966) betont in einer interessanten Kritik an Goldings Roman, daß dieses Abgleiten
nicht naturnotwendig geschieht, sondern kulturell bedingt ist: erst die (seit Jahrtausenden)
kulturspezifische Unterdrückung der Bedürfnisse rufe diese Aggressionen hervor,
wirklich frei und selbstreguliert aufgewachsene Kinder hätten sich nicht aggressiv
verhalten.
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