Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Pater Flanagans Jungenstadt in den USA war ebenfalls der Jugendgerichtsbewegung
zuzurechnen und übernahm erklärtermaßen zumindest äußerlich
einige Eigenschaften der Junior Republics, auch wenn seine Selbstverwaltung
nicht weitgehend ist (vgl. Kapitel 21). Infolge der engen Zusammenarbeit
mit dem Militär wurde Boys Town nach dem zweiten Weltkrieg in den
besetzten Ländern sehr bekannt und zum Vorbild mehrerer neugegründeter
Republiken für kriegsverwahrloste Kinder in Europa: der Jungenstadt
Buchhof am Starnberger See, Bemposta in Spanien und mehrerer Einrichtungen
in Italien. Die bedeutendsten (und offenbar noch existierenden) Kinderrepubliken
in Italien orientieren sich allerdings am Konzept der George
Junior Republic (Civitaveccia) und (vielleicht unbekannterweise) der britischen
Lane-Schule (Jungenstadt bei Rom). Sie wurden durchweg durch katholische
Priester gegründet, ebenso wie auch die von Salesianermönchen gegründeten
Kinderrepubliken für südamerikanische Straßenkinder, und nennen
wohl auch deshalb Pater Flanagan als Vorbild.
Bei der Gründung der Nachkriegsrepubliken für kriegsgeschädigte Kriegskinder
spielte Elisabeth Rotten eine herausragende Rolle, sowohl inhaltlich
als Mitbegründerin des ersten Pestalozzi- Kinderdorfes in Trogen / Schweiz
(ebenfalls ein häufiger genanntes Vorbild der Nachkriegsrepubliken) und der
FICE, als auch finanziell als leitendes Mitglied der Schweizer Spende / Don
Suisse.
In Rußland und der Ukraine wurden in der relativ freiheitlichen frühsowjetischen
Zeit die modernsten reformpädagogischen Modelle (z. B. Selbstregierung)
der westlichen Welt per Dekret übernommen (wenn auch nicht unbedingt
praktiziert!). Hunderte selbstverwaltete Kolonien und Kommunen der
Zarenzeit und vor allem der 20er Jahre wären erst genauer zu erforschen,
ebenso ihre Rückwirkungen auf westeuropäische Einrichtungen (etwa von
Torchok auf Moulin Vieux). Makarenko verschwieg zwar seine Vorbilder,
bezog sich aber anfangs auf selbstregierte Reformatories der USA (das müssen
die George Junior Republics sein!), kannte die Arbeit Wynekens und
machte vermutlich theoretische Anleihen bei Foerster. Auch wenn seine genaue
Position innerhalb der Kinderrepublikbewegung vorerst unklar bleibt,
steht seine Zugehörigkeit außer Frage (vgl. Kapitel 20).
Heimselbstregierung in Kinderrepubliken muß verstanden werden als
Verwirklichung wesentlicher Grundsätze der Reformpädagogik auf dem Gebiet
der Heimerziehung. Demgemäß waren wichtige Vertreter und Förderer
der Kinderrepubliken auch im Zentrum der reformpädagogischen Bewegung
zu finden und an zentraler Stelle in der reformpädagogischen Bewegung tätig,
teils mit nationaler (Lane, Wills, Wilker), teils mit internationaler Bedeutung
(George, Neill, Rotten), oder andersherum: zentrale Persönlichkeiten, etwa
Herausgeber der NEF-Zeitschriften wie A. S. Neill, E. Rot-
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