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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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isieren des Lebensnotwendigen und das Durchbrechen von Verboten kaum<br />

als verwerflicher Diebstahl o<strong>der</strong> Vergehen klassifiziert werden. Als Beispiel<br />

kann Urs Schny<strong>der</strong>s Beschreibung seiner Unterbringung in Bemposta dienen:<br />

Der Residenz- und Gesundheitsminister wies dem Neuling ein Zimmer im<br />

Hotelrohbau zu, wo er sich <strong>aus</strong> den im Gelände herumliegenden Bettgestellteilen<br />

und Matratzen etc. selbst einen Schlafplatz einrichten konnte. Die Kameraden<br />

überzeugen ihn beim Einzug, daß er wegen <strong>der</strong> verbreiteten Diebstähle<br />

als allererstes eine Vorrichtung zum Verschließen <strong>der</strong> Tür basteln müsse,<br />

was nur unter verbotener Verwendung des Schweißapparats möglich war.<br />

„Licht haben wir selbst gelegt. Abgesehen von einigen Dutzend Unterbrechungen im<br />

Jahr funktioniert unsere Stromversorgung. Die Unterbrüche häufen sich im Winter,<br />

wenn die Bewohner mit Wi<strong>der</strong>standsdrähten versuchen, die Temperatur im Zimmer<br />

etwas angenehmer zu gestalten. Aus vitalem Interesse werden durchgebrannte Leitungen<br />

sehr schnell geortet und irgendwie repariert. Sicherungen sind natürlich längst mit<br />

dicken Drähten überbrückt worden.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 35)<br />

Die im folgenden beschriebene allgemeine Korruption in Form des Organisierens<br />

ist ein Ergebnis des systembedingten Verwaltungschaos und vielleicht<br />

die verheerendste Auswirkung <strong>der</strong> Ideologie.<br />

Stehlen ist nicht eigentlich verboten, schließlich gehört den Kin<strong>der</strong>n die gesamte<br />

Welt, aber es ist zumindest auch nicht generell erlaubt. Gestohlen wurde<br />

mit großer Selbstverständlichkeit - aber trotzdem heimlich, denn die Reaktionen<br />

auf Diebstähle sind völlig unberechenbar. Auch die erwachsene<br />

Leitung <strong>der</strong> Republik beteiligt sich:<br />

„Es gibt keinen Privatbesitz. Alles gehört allen. Hat jemand mehr als ein an<strong>der</strong>er, und<br />

<strong>der</strong> zweite braucht den Mehrbesitz des ersten, so darf, soll <strong>der</strong> zweite sich am ungerechten<br />

Mehrbesitz des ersten bedienen.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 60)<br />

„Als deutschen Studenten, die bei uns für einige Tage zu ‚Studienzwecken‘ Urlaub<br />

machten, fünft<strong>aus</strong>end Peseten geklaut wurden, konnte <strong>der</strong> kleine Dieb zwar von Maria<br />

<strong>aus</strong>findig gemacht werden, Milocho aber, <strong>der</strong> Verwalter, for<strong>der</strong>te mich auf, mit den<br />

sichergestellten dreit<strong>aus</strong>end Peseten in Orense einzukaufen, damit wir dieser Studentengruppe<br />

ein würdiges Abschiedsessen ‚offerieren‘ konnten.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong><br />

1985: 114) Urs Schny<strong>der</strong> nahm das zum Anlaß und kündigte.<br />

„Als ein Muchacho aber mit neuen Hosen von Madrid zurückkommt und erzählt,<br />

daß er die im ‚Cortes Ingles‘, Madrids großem Warenh<strong>aus</strong> geklaut habe, wo er sich<br />

seit eh mit neuen Klei<strong>der</strong>n eindeckt, erntete er vom Cura ein mildes Schmunzeln.“<br />

(Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 112)<br />

An<strong>der</strong>e räumten einen an <strong>der</strong> Tankstelle geparkten LKW <strong>aus</strong> - was zu Ärger<br />

mit dem Besitzer führte. An<strong>der</strong>e aufgedeckte Delikte führten zum Hin<strong>aus</strong>wurf<br />

des Täters. Das Stehlen in <strong>der</strong> umliegenden Nachbarschaft ist zwar<br />

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