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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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zeptabel sein: Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> ärmsten Provinz des armen Spaniens dürften auch<br />

sonst nicht wesentlich komfortabler gelebt haben. Verheerend sind dagegen<br />

die pädagogischen Mängel.<br />

Kaum ein Kind ist fähig, die so massiv vorgebrachte und durchgesetzte<br />

Ideologie bewußt anzuzweifeln. An<strong>der</strong>erseits ist völlig offenkundig, daß die<br />

Realität an<strong>der</strong>s ist, und so entsteht notwendig eine Art gespaltenes Bewußtsein<br />

und eine Doppelmoral. Daß es nirgends feste Regelungen gibt, erleichtert<br />

diese Spaltung.<br />

Selbst im Wahlkampf ging es kaum um konkrete Programme für die alltägliche<br />

Wirklichkeit, stattdessen wurden vorwiegend ideologische Gesichtspunkte<br />

diskutiert, die bessere Einhaltung und Erzwingung <strong>der</strong> Ideologie.<br />

„Bürgermeisterkandidat kann nur ein völlig konformer Bempostaner werden, d. h. er<br />

muß in erster Linie ein ungetrübtes Verhältnis zum Cura haben und dessen Ideologie<br />

voll akzeptieren. In <strong>der</strong> Vollversammlung wird nur unter dem Gesichtspunkt <strong>der</strong> vorgegebenen<br />

bempostanischen Ideologie diskutiert, die Beschlüsse faßt die Regierung.“<br />

(Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 109)<br />

„Eine eigene, von <strong>der</strong> Ideologie des Cura unabhängige Meinung zu formulieren, bereitet<br />

beson<strong>der</strong>s linientreuen Bempostanern Mühe.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985:<br />

72)<br />

Man versucht, sich an Äußerungen Silvas zum jeweiligen Thema zu erinnern<br />

und dar<strong>aus</strong> die eigene Meinung zu erschließen, die selbstverständlich identisch<br />

ist mit <strong>der</strong> allgemeinen Ideologie.<br />

Eine kräftige öffentliche Meinung kann sich so nicht bilden, denn die Realität<br />

darf nicht thematisiert werden, die geäußerte öffentliche Meinung entspricht<br />

von vornherein stets <strong>der</strong> Ideologie, die aber wie<strong>der</strong>um nicht wirklich<br />

mit Überzeugung vertreten werden kann, weil sie gar zu offensichtlich <strong>der</strong> Erfahrung<br />

zuwi<strong>der</strong>läuft.<br />

Das öffentliche Reden und das Abstimmungsverhalten sind völlig abgekoppelt<br />

vom praktischen Verhalten und <strong>der</strong> wirklichen Meinung. Übrig<br />

bleiben heldenhafte, hohle Phrasen und inkonsequentes, konsequentopportunistisches<br />

Verhalten. Niemand prüft die Ansprüche an <strong>der</strong> Realität,<br />

denn genau das wäre abwegig, unsinnig und verboten. Zwar kann persönliches<br />

Fehlverhalten angeprangert werden, nicht aber fehlerhafte o<strong>der</strong> fehlende<br />

Regelungen.<br />

Der Schuldige wird von <strong>der</strong> öffentlichen Meinung aller Kameraden entsprechend<br />

<strong>der</strong> Ideologie freiwillig, empört und öffentlich verurteilt. Aber zugleich<br />

verspürt niemand irgendein Interesse an <strong>der</strong> Verurteilung, selbst <strong>der</strong><br />

Richter nicht. Je<strong>der</strong> weiß auch, daß real niemand entsprechend <strong>der</strong> Ideologie<br />

lebt o<strong>der</strong> wirklich so leben will o<strong>der</strong> kann. Statt eines konkreten Urteils heißt<br />

es häufig nur vage und folgenlos, die Schuldigen würden zur<br />

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