Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

„Jeder will wissen, daß der andere hinausgeschmissen werden soll. In einem solchen
‚Gericht‘ sitzt der Angeklagte der gesamten Regierung gegenüber. Von der Regierung
werden ihm Vorwürfe gemacht, zu denen er Stellung zu nehmen hat. Gegen die müsse
man geschickt argumentieren, wurde mir von Hinausgeschmissenen erzählt. Die Regierung
stellt reine Verdachtsmomente (z. B. man habe Marihuana geraucht), als erwiesene
Tatsachen hin. Dabei würde sie sich auf angebliche Geständnisse von Mittätern
berufen.“ (Poschkamp u. Schnyder 1985: 45)
Der Pater hat weder seine Ideologie noch seine pädagogischen Methoden genau
fixiert. Alles bleibt mündlich, vage und jederzeit anders interpretierbar.
Dies fiel im Prinzip schon Möbius auf:
„Schlagworte, die ‚sein System‘ charakterisieren und klassifizieren, lehnt er ab.
Schubladen, denen man zum Beispiel ‚antiautoritäre Erziehung‘ oder ähnliches aufkleben
könnte, mag er nicht.“ (Möbius 1981: 44 f.)
Konkret geschildert und kritisiert wird die Ideologie erst bei Poschkamp u.
Schnyder (1985: 56 - 64, 89 - 91). Grundlage dieser Beschreibungen waren
vielmonatige Aufenthalte in Bemposta, Gespräche mit dem Pater sowie viele
Diskussionen mit langjährigen, linientreuen und oft führenden Bempostanern,
die meistens auch das Große Abenteuer absolviert hatten.
„Die von mir geschilderte Struktur und Hierarchie Bempostas ist nirgends schriftlich
festgelegt. Um Bemposta ‚dynamisch zu halten‘, wie der Cura sagt, ist er gegen jegliches
Definieren und Festlegen von Rechten, Pflichten und Kompetenzen. Auch die
angeblich fixe Ideologie will er nicht verbindlich niederschreiben. Intern sind einzig
die elf Gesetze Bempostas maßgebend, die der Cura zusammen mit den ersten
Muchachos ausgearbeitet hat“ (Poschkamp u. Schnyder 1985: 46).
„Es gibt keine garantierten Rechte und auch keine schriftlich formulierten Pflichten.
Selbst die ‚Rechtsprechung‘ kennt keine standardisierten Grundlagen. Der Cura
nennt das ‚dynamische Justiz‘.“ (Poschkamp u. Schnyder 1985: 60).
Zu den ganz wenigen schriftlichen Dokumenten zählen die Elf Gesetze und
die Zwanzig Thesen. Die für alle Zweigstellen gültigen ‚Elf Gesetze‘ des
Gründungsjahres waren der Anfang der Bemposta-Gesetzgebung. Sie sind
eher ethisch-moralische Postulate als wirkliche Gesetze:
Die ‚Elf Gesetze‘ Bempostas
„1. Der Bürger sucht Gott in seinem täglichen Leben.
2. Der Bürger ist stolz darauf, Bürger zu sein, und wird seine Stadt stets ehren.
3. Der Bürger festigt seine Persönlichkeit durch sein Recht und seine Ehre.
4. Der Bürger ist fröhlich und optimistisch, weil er gelernt hat, frei zu sein.
5. Der Bürger ist stark in Schwierigkeiten.
6. Der Bürger ist ehrlich in Taten und Versprechungen.
7. Der Bürger lebt ständig in Opferbereitschaft und Nächstenliebe.
8. Der Bürger wählt frei seine Autoritäten und ordnet sich ihnen unter.
9. Der Bürger bemüht sich, liebenswürdig und zuvorkommend zu seinem Nächsten
zu sein.
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