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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Dieb... Kurz bevor wir uns in <strong>der</strong> Asamblea wie<strong>der</strong>treffen, schreien zwei Wächter<br />

plötzlich: ‚Wir haben den Dieb‘. Sie schleppen den heulenden Blanco zum Polizeiminister,<br />

nicht ohne mit den Stöcken auf ihn zu schlagen. Blanco hat sich unbemerkt<br />

<strong>aus</strong> dem erlaubten Korridor entfernt und ist beim Zurückkommen aber erwischt worden.<br />

Schluchzend erklärt er, die 36.000 Peseten nicht gestohlen zu haben. Er hatte nur<br />

die Notdurft verrichtet, was durch Inspektion <strong>der</strong> angegebenen Ecke hinter dem Chalet<br />

verifiziert werden kann.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 87, Auslassungspunkte<br />

im Original)<br />

Es herrschte Pogromstimmung. Auch beim Verhör wurde geschlagen und mit<br />

nicht vorhandenen Schuld-Beweisen gedroht. Am Nachmittag ging die Versammlung<br />

weiter, dort wurden zwei Hauptverdächtige auch öffentlich von <strong>der</strong><br />

Regierung verhört, wobei die meisten Teilnehmer (nicht <strong>der</strong> Minister!) sie<br />

von vornherein als schuldig und ihre Antworten als Lüge betrachteten. Leute,<br />

die selber täglich Zigaretten kauften, sahen darin bei einem <strong>der</strong> Verdächtigen<br />

auf einmal ein Verbrechen gegen Bemposta. Am nächsten Morgen wurde den<br />

pünktlich und beinahe vollzählig auf die Versammlung Wartenden eine Verschiebung<br />

des Beginns um eineinhalb Stunden mitgeteilt, weil die Regierungsmitglie<strong>der</strong><br />

noch schliefen. Auch Pocholos Gattin Alzira, die Lehrerin in<br />

Bemposta war, kam in die Versammlung:<br />

„‚In Bemposta herrscht Vandalismus. Man sollte Euch alle hungern lassen, bis <strong>der</strong><br />

Dieb gefunden ist‘, votiert sie und geht anschließend mit ihren Zwillingen wie<strong>der</strong><br />

nach H<strong>aus</strong>e.“ (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 87)<br />

Am Nachmittag durfte Urs Schny<strong>der</strong> sich wie<strong>der</strong> frei bewegen, weil <strong>der</strong> Minister<br />

ihn nicht verdächtigte. Die Dauerversammlung ging auch am Abend<br />

weiter.<br />

„Am nächsten Morgen kommt Pocholo. Während <strong>der</strong> Bürgermeister klassenweise<br />

Appell macht, schaut er zum Fenster hin<strong>aus</strong> und brüllt dann urplötzlich, daß alles<br />

ineffizient sei und er für solche Spiele keine Zeit habe.“ Er beschimpfte die Jugendlichen<br />

und ihre Regierung: „Meine Mutter weint täglich, weil hier <strong>nichts</strong>, aber auch<br />

wirklich <strong>nichts</strong> funktioniert. Ihr aber dankt all unsere Anstrengungen, indem Ihr das<br />

Gegenteil davon lebt, was Bemposta sein soll. Nur gerade im Infantil findet bempostanisches<br />

Leben statt, weil sich dort Maria von früh bis spät abrackert. Selbst<br />

Schwule, ja wirklich Schwule gibt es unter Euch. Es ist ja logisch, daß unter solchen<br />

Umständen hier <strong>nichts</strong> funktioniert. Nicht das Volk müsste verhört werden, son<strong>der</strong>n<br />

die Führung“. (Poschkamp u. Schny<strong>der</strong> 1985: 88)<br />

Am Abend wurden auf For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versammlung schließlich auch zwei<br />

Minister, die <strong>aus</strong> ihren Zimmern geholt werden mußten, verhört. Mit Razzia<br />

und Verhören wurde zwar eine Menge kleiner Delikte aufgeklärt, <strong>der</strong> Dieb<br />

<strong>der</strong> 36.000 Peseten aber nicht gefunden. Nach einer knappen Woche wurde<br />

deshalb „beschlossen, daß je<strong>der</strong> innerhalb von vierzehn Tagen dreihun<strong>der</strong>t-<br />

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