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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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dies verfolgten sie mit äußerstem Mißtrauen und offenem Haß. Sie fühlten<br />

sich durch und durch <strong>der</strong> Arbeiterschaft zugehörig.<br />

„Hier sei nur kurz bemerkt, daß sich auch in unserem H<strong>aus</strong>e das alte Gesetz, welches<br />

die Psychoanalyse wie<strong>der</strong> in den Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Betrachtung stellt, voll bestätigte,<br />

nach welchem <strong>der</strong> Jugendliche sich nach dem Bilde des Menschen wandelt, den er<br />

liebt.“ (Lehmann 1926: 36)<br />

Der (bürgerlichen!) Verwaltung des Kin<strong>der</strong>h<strong>aus</strong>es, den Pädagogen und <strong>der</strong>en<br />

Freundlichkeit trauten die Kin<strong>der</strong> nicht. Um nach Arbeiterart mit vereinter<br />

Stärke ihre Interessen zu vertreten, wählten sie einen Ausschuß, <strong>der</strong> die Verhandlung<br />

mit <strong>der</strong> Verwaltung führen sollte: Zum Schutz vor Ausbeutung for<strong>der</strong>ten<br />

sie eine Vertretung in <strong>der</strong> Erzieherkonferenz. In <strong>Kamp</strong>fsituationen gegen<br />

die Erwachsenen, gegen das unkorrekte Benehmen eines Angestellten<br />

o<strong>der</strong> gegen die schlechte Essensqualität waren die sonst heillos zerstrittenen<br />

Kin<strong>der</strong> solidarisch und zeigten großes Selbstbewußtsein.<br />

„Wir versuchten aber bald, dieser Gemeinschaft positive Aufgaben zu stellen, indem<br />

wir den Jugendlichen auf allen Gebieten Selbstverwaltung einräumten, in <strong>der</strong> Überzeugung,<br />

daß auch wirtschaftliche Vorteile dar<strong>aus</strong> resultieren würden. Denn vorher<br />

wurde jede nur mögliche Gelegenheit <strong>aus</strong>genützt, sich durch Lüge o<strong>der</strong> Betrug Vorteil<br />

bei <strong>der</strong> Her<strong>aus</strong>gabe von Wäsche und Kleidung o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Küche zu verschaffen, was<br />

in dem Augenblick sich erklärlicherweise vollkommen än<strong>der</strong>te, als die Verwaltung in<br />

die Hände <strong>der</strong> Jugendlichen gelegt wurde. Ihrer Organisation gaben sie den Namen<br />

‚Kollektive‘. Aber wir knüpften noch an<strong>der</strong>e Erwartungen an die Übernahme <strong>der</strong> Regierung<br />

durch die Jugendlichen und wurden in unseren Erwartungen nicht getäuscht.<br />

Das Selbstbewußtsein <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> begann mit aller Stärke zu erwachen, man begann<br />

zu empfinden, daß man geschenktes Brot und geschenkte Klei<strong>der</strong> zu verwalten hatte,<br />

daß man von Almosen <strong>der</strong> Reichen lebte und nicht durch eigene Arbeit; und dieser<br />

Zustand wurde für die Jugendlichen von Tag zu Tag unerträglicher. Berücksichtigen<br />

wir noch, daß man den Erziehern und sonstigen Angestellten des Kin<strong>der</strong>h<strong>aus</strong>es damals<br />

noch durch<strong>aus</strong> mit Haßgefühlen gegenüberstand, wird das leidenschaftliche<br />

Verlangen verständlich, sich unabhängig von dieser Verwaltung zu machen.“<br />

(Lehmann 1926: 25).<br />

Die Kollektive übernahmen eine Vielzahl von Tätigkeiten und verlangten das<br />

Geld, das bisher für die Bezahlung von Arbeitskräften <strong>aus</strong>gegeben worden<br />

war, für ihre Gemeinschaftskassen, <strong>aus</strong> denen wie<strong>der</strong>um für das Essen <strong>der</strong><br />

Gemeinschaftsmitglie<strong>der</strong> gezahlt werden sollte. Die Erzieher gingen mit gemischten<br />

Gefühlen darauf ein: Einerseits för<strong>der</strong>te dieses System die Selbständigkeit<br />

und die Selbstachtung enorm. An<strong>der</strong>erseits führte es dazu, daß für<br />

jede Tätigkeit Geld verlangt und für jegliche kleine Hilfe Rechnungen <strong>aus</strong>gestellt<br />

wurden, obwohl völlig klar war, daß nur ein Bruchteil <strong>der</strong> tatsächlichen<br />

Unterhaltskosten durch die Arbeit und Zahlungen <strong>der</strong> Kollektive gedeckt war.<br />

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