Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

„Wie vorausgesehen lief sich das ‚Honor-System‘ tot an seinen Schwächen, der gegenseitigen
Überwachung als Forderung, des primitiven Lohn- und Strafverfahrens,
der Umständlichkeit seiner ganzen Apparatur.“ (Zielinski 1950: 108)
Nach einem Besuch von Pater Goens, der in der Kinderrepublik bei Civitaveccia
/ Italien ein weit extremeres Honour-System und die Merit-Währung
eingeführt hatte (vgl. Kapitel 22.3.4.) wurde das System am 25.10.1948
(=vier Monate nach der Währungsreform) von Erziehungsausschuß und Jungenstadtrat
in einer Zusatzverordnung ergänzt (Wortlaut in Zielinski 1950:
108 f.) und noch weiter auf die Spitze getrieben:
Jeder erhielt nun wöchentlich eine Karte mit zehn Pluspunkten, wovon bei
Vergehen die Minuspunkte abgeschnitten wurden. Wer selbst ein eigenes
Vergehen anzeigte, mußte nur die Hälfte der Punkte bezahlen. Wer einen anderen
bei einem Vergehen erwischte, konnte ihm einen Punkt abschneiden
und sich selbst gutschreiben lassen, damit galt das Vergehen als gesühnt.
Pluspunkte wurden weiterhin wie zuvor vergeben, doch hatten sie jetzt einen
Wert von je 5 Pfennigen. Punkte auf mindestens 2 Wochen alten Karten
konnten bei der Heimleitung in DM umgetauscht, aber auch untereinander als
Zahlungsmittel verwendet werden. Bei Vergehen mit materiellem Schaden
mußte dem Geschädigten nun Schadenersatz geleistet werden. Wer ins Minus
geriet, kam vor den Jungenstadtrat, seine Minuspunkte wurden von der folgenden
Karte abgezogen.
Die Kleineren gerieten bei diesem System gegenüber den Größeren in
Nachteil und überwachten diese umso mehr, wodurch der Respekt vor den
Großen dahinschmolz und Streit entstand. Schließlich wurde das Strafwesen
dem Anfang Juni 1948 gebildeten Erziehungsausschuß aus je drei Erwachsenen
und drei Jungen als höchstem Organ der Jungenstadt übertragen:
„Es war eine ganze Reihe von Gründen, die mich bewogen, ein Organ zu bilden, das
Erwachsene und Jungen in der Besprechung erzieherischer und auch anderer Probleme
zusammenschloss. Vor allem galt es, in Hinblick auf die zweite Etappe unserer
Erziehungsplanung eine Kerngruppe von Jungen zu schaffen, von der aus sich die
Grundsätze einer guten Gesinnung wie der Sauerteig in einem Brei auswirken sollte.“
(Zielinski 1950: 110)
Die Jungen sollten so auch einen direkten Einblick in die Erziehung erhalten
und differenzierter und gerechter urteilen lernen, Strafe nicht als Vergeltung,
Rache oder Sühne, sondern als Erziehungsmittel kennenlernen.
Nach einjähriger Tätigkeit des Erziehungsausschusses erarbeitete der Jungenstadtrat
im Herbst 1949 eine neue Gerichts- und Strafordnung, die am
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