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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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stellungskriterium für sie, son<strong>der</strong>n wurde vom Paten vorgegeben. Der Name<br />

Jungenstadt entstand in Analogie zu Father Flanagans Boys Town (vgl. Kapitel<br />

21.), und auf Fotos ist über dem säulengetragenen Eingangsdach in großen<br />

Lettern zu lesen: „BOYS TOWN BUCHHOF JUNGENSTADT“.<br />

Die Selbstverwaltung entwickelte sich in drei Etappen als erste, zweite und<br />

dritte Selbstverwaltung.<br />

Bald nach Gründung des Heims trug <strong>der</strong> Pate den Gedanken einer den<br />

Formalien <strong>der</strong> Boys Town Nebraska folgenden Selbstverwaltung an die Jungen<br />

heran, allerdings ohne pädagogische Überlegungen und ohne die damit<br />

verbundene Verantwortung und die Aufgaben und Pflichten darzulegen.<br />

„Es wurde ein Junge als Präsident bestimmt und ihm ein Vizepräsident beigegeben.<br />

Beide holten sich einen dritten Jungen als Schriftführer dazu. Durch zwei vom Heimleiter<br />

<strong>aus</strong>gesuchte Jungen wurde dann dieses Gremium zu dem sogenannten ‚Student<br />

Council‘ erweitert, dessen Aufgabenbereich die reine Interessenvertretung <strong>der</strong> Jungen<br />

gegenüber <strong>der</strong> Heimleitung war.“ (Zielinski 1950: 89 f.)<br />

Diese erste Selbstverwaltung brachte anscheinend hauptsächlich Reibereien.<br />

Daraufhin erarbeitete <strong>der</strong> Pate Ende Juli / Anfang August 1947 aufgrund von<br />

rein staatspolitischen Überlegungen eine zweite Selbstverwaltung: eine Verfassung<br />

nach US-Vorbild, mit gewähltem ersten und zweiten Bürgermeister<br />

und einem Verfassungsgerichtshof. Er drängte sie den Jungen erfolgreich auf,<br />

und <strong>der</strong> Student Council nahm sie an. Sie entsprach aber offenbar we<strong>der</strong> den<br />

Bedürfnissen <strong>der</strong> Jungen noch den Überzeugungen <strong>der</strong> Heimleitung.<br />

Geplant war ein Jungenstadtrat <strong>aus</strong> 9 vom ersten Bürgermeister ernannten<br />

Jungen, <strong>der</strong> jedoch nicht gebildet wurde, weil das Heim nur mit 20 Jungen<br />

belegt war. Die beiden Bürgermeister und <strong>der</strong> Verfassungsgerichtshof<br />

(Vorsitzen<strong>der</strong> und zwei Beisitzer) bildeten einen Stadtrat <strong>aus</strong> eigener Machtvollkommenheit.<br />

Der faktisch funktionslose Verfassungsgerichtshof übernahm<br />

ebenfalls eigenmächtig die allgemeine Gerichtsbarkeit.<br />

Diese zweite Selbstverwaltung brach rasch zusammen: Der Bürgermeister<br />

war in Verdacht geraten, einige (damals sehr wertvolle) Apfelsinen gestohlen<br />

zu haben. Nachprüfungen ergaben, daß er zwar früher ähnliche Delikte begangen<br />

hatte, diesmal jedoch unschuldig war, und damit entfiel auch <strong>der</strong> gestellte<br />

Mißtrauensantrag. Der Gerichtshof allerdings war über Kompetenzfragen<br />

in eine Rauferei mit an<strong>der</strong>en Jungen geraten und hatte dann wegen des<br />

Respektmangels <strong>der</strong> Untergebenen seine Ämter nie<strong>der</strong>gelegt. Als sich bei <strong>der</strong><br />

ersten Verhandlung des neugebildeten Gerichts her<strong>aus</strong>stellte, daß ein Richter<br />

<strong>der</strong> Täter war und auch dies Gericht amtsenthoben werden mußte, löste <strong>der</strong><br />

Bürgermeister die ganze Selbstverwaltung nach vierwöchigem Bestehen Anfang<br />

September 1947 auf.<br />

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