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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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auffassen als Summe <strong>der</strong> vielen einzelnen Erzieher-Zöglings-Dyaden. Eine<br />

Gruppe ist aber mehr als nur die Summe ihrer Mitglie<strong>der</strong>. Sie ist nicht bloß<br />

eine unorganisiert-formlose Masse, die pure Ansammlung sozialer Atome,<br />

son<strong>der</strong>n eine strukturierte organisierte Gemeinschaft. Sie erzeugt Gruppenphänomene<br />

wie Gruppenmeinungen, Gruppennormen, Gruppenziele, Gruppenzusammenhalt<br />

und Gruppendruck. Die ernorme Macht solcher Erscheinungen<br />

ist durch sozialpsychologische Experimente eindrucksvoll belegt und<br />

braucht hier nicht weiter beschrieben zu werden. Jedes Gruppenmitglied wird<br />

nicht nur von den einzelnen an<strong>der</strong>en Gruppenmitglie<strong>der</strong>n beeinflusst, son<strong>der</strong>n<br />

auch durch diese Gruppenphänomene, durch die Gruppe selbst. Vor allem in<br />

später Kindheit und im Jugendalter spielt <strong>der</strong> Gruppeneinfluß in <strong>der</strong> Gleichaltrigengruppe<br />

eine große Rolle, wenn Jugendliche sich nicht mehr an den<br />

Eltern und noch nicht an abstrakten eigenen Vorstellungen orientieren, son<strong>der</strong>n<br />

an <strong>der</strong> Meinung ihrer Gruppenkameraden, <strong>der</strong> öffentlichen Meinung <strong>der</strong><br />

Gruppe.<br />

Das Streben nach sozialer Anerkennung und sozialem Ansehen ist eine <strong>der</strong><br />

stärksten Motivationen überhaupt. Dem konzentrierten Druck <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Meinung seiner eigenen Gruppe kann kaum ein Jugendlicher wi<strong>der</strong>stehen. Er<br />

wird sich auf Dauer nicht nur äußerlich-oberflächlich, son<strong>der</strong>n auch innerlich<br />

den For<strong>der</strong>ungen anpassen und sie verinnerlichen, als For<strong>der</strong>ungen an sich<br />

selbst stellen.<br />

Der Gruppeneinfluß in Heimen und Anstalten wirkt traditionell den Zielen<br />

und Absichten <strong>der</strong> Erzieher entgegen, bildet einen sozialen Gegendruck, <strong>der</strong><br />

die For<strong>der</strong>ungen und Regeln <strong>der</strong> äußeren Autorität wirkungslos machen und<br />

offizielle Bestrafung durch hohes Gruppenprestige (guter Kamerad, harter<br />

Bursche) mehr als <strong>aus</strong>gleichen kann.<br />

Die öffentliche Meinung <strong>der</strong> Gruppe kann z. B. vom Schüler verlangen,<br />

möglichst wenig zu arbeiten, um nicht als Streber <strong>der</strong> allgemeinen Verachtung<br />

zu verfallen. Eine wichtige inoffizielle For<strong>der</strong>ung aller Anstalts-<br />

Insassen-Subkulturen verlangt, daß Vergehen <strong>der</strong> Kameraden niemals den offiziellen<br />

Autoritäten gemeldet werden dürfen. Den Gruppeneinfluß ohne Zerstörung<br />

<strong>der</strong> Gruppe unterbinden zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen,<br />

das leicht zur stärkeren Solidarisierung <strong>der</strong> Gruppe führen kann.<br />

Allen Selbstregierungsmethoden gemeinsam ist die pädagogische Nutzung<br />

(statt Unterdrückung) <strong>der</strong> öffentlichen Meinung. Eine Gruppenpädagogik,<br />

die weniger auf die Beeinflussung <strong>der</strong> Einzelmitglie<strong>der</strong> zielt<br />

(Individualpädagogik) als vielmehr auf die Gruppe selbst und auf die Gruppenerscheinungen<br />

wie die öffentliche Meinung, eine solche Gruppenpädagogik<br />

wird gelegentlich Kollektiverziehung o<strong>der</strong> auch Sozialpädagogik genannt.<br />

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