Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Bemerkenswert ist die offenbar beabsichtigte allgemeine gegenseitige
Überwachung und Bespitzelung der Kameraden untereinander, die als Ämulation
ihren Höhepunkt in frühneuzeitlichen Jesuitenschulen hatte:
„Folgerichtig werden dann auch Bürgermeister, Richter usw. für ihre Amtshandlungen
bezahlt. Der Richter z. B. kassiert die Hälfte der Strafgelder in seine Tasche, während
ein anderer Teil dem Ankläger zugute kommt.
Don Goens erzählt ein weiteres Beispiel, um dieses Verfahren zu rechtfertigen: Es
sei doch im Leben so, dass es - ganz grob gesagt - dem bösen Menschen schlecht gehe.
Mit der ökonomischen Erziehungsmethode erziele man beim Kind diese Erkenntnis
sehr früh, indem der Übeltäter für seine schlechten Taten soviel Geld habe hergeben
müssen, daß er sich kein Essen kaufen, d. h. also hungern müsse.“ (Zielinski
1950: 75)
„Auch der gesamte Sittenkodex basiert auf dem Geldumlauf. Hat z. B. der Junge
Francesco etwas Unrechtes getan und der Junge Luigi das gesehen, dann kann Luigi
zu Francesco gehen und von ihm als Strafe oder Sühne für dieses Vergehen einen
Dorflire abfordern. Gibt Francesco diesen Lire in der Erkenntnis und im praktischen
Zugeständnis seiner bösen Handlung, dann ist der Gerechtigkeit Genüge getan, das
sittliche Gleichgewicht wiederhergestellt. Weigert sich Francesco, den Lire zu geben,
so kommt die Sache vor das Gericht, und dann fällt, falls die Übeltat beweiskräftig
dargetan werden kann, die Strafe naturgemäß höher aus.“ (Zielinski 1950: 74 f.)
Dies sollte auch zur Entlastung der Erzieher beitragen, die so mit vielen Vergehen
gar nicht mehr behelligt wurden.
Zielinski kritisierte diese krasse Geldmoral, mit der er selbst (in abgeschwächter
Form als Honour System) in seiner Republik schlechte Erfahrungen
gemacht hatte, indem er auf ihre mögliche Umkehrung hinwies: Moralisch
gut ist alles das, was mir Geld einbringt.
22.3.5. Carroll-Abbing in der ‚Città dei Ragazzi‘ bei Rom
In der ersten Hälfte der 1950er Jahre gab es Streitigkeiten um die Jungenstadt
bei Civitaveccia, die dazu führten, daß Carroll-Abbing die Einrichtung verließ
und eine eigene Jungenstadt bei Rom gründete, die ebenfalls bis heute existiert.
Der Streit zwischen dem Orden Don Rivoltas und der Hilfsorganisation
Carroll-Abbings ging um Geld und Besitzrechte 598 . Möglicherweise bestan-
598 Die Streitigkeiten um die Jungenrepublik in Tor Marangone traten etwa zur der Zeit
(1951) auf, zu der auch die Vorbereitung zur Gründung der Boys' Town of Rome begannen,
und zogen sich in zunehmender Stärke vier Jahre bis zur Fertigstellung der neuen
Jungenstadt hin. Der Landbesitzer von Tor Marangone, ein Freund Don Rivoltas, hatte
das Gelände zum Freundschaftspreis an den Orden Company of St. Paul, dem Rivolta
angehörte, verkauft. Betrieben und ausgebaut wurde das Heim aber durch Carroll-
Abbings Boys' Town of Italy.
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