Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

dig auch auf Faulheit, Dreck, Unordnung und sogar Gewalt. Die Heiminsassen
leiden unter ihren Folgen, lernen aus Erfahrung zu begreifen und die
Verantwortung für die Beseitigung der Probleme zu übernehmen.
Gerade die Möglichkeit schlampiger Arbeit und die nicht verhinderten
spürbaren üblen Folgen und alltäglichen kleinen Katastrophen, unter denen
die Allgemeinheit dann zu leiden hat, zeigen jedermann deutlich und wortlos
die Notwendigkeit selbstverantwortlichen Handelns. Wenn der zuständige
Beamte den Versammlungsraum nicht geheizt hat, friert die gesamte Versammlung,
und sie weiß genau warum. Oder das Badewasser ist nur lauwarm,
oder die Mahlzeiten verzögern sich, oder die Kühe verwüsten den wochenlang
mühsam bestellten Garten, weil irgendwer das Tor offenließ, oder Wasserpumpe
und Auto fallen aus, weil der vorwitzige Mechaniker die Autozündkerzen
in die Dieselpumpe geschraubt hat, oder es müssen Sondersteuern
erhoben werden, um einen entlaufenen Jugendlichen mit der Eisenbahn heimholen
zu können, oder der Lebensstandard einer Familiengruppe sinkt beträchtlich,
weil ein (noch) ‚nichtsnutziges‘ Mitglied jede Arbeit verweigert
(alle Beispiele aus Ford Republic und Little Commonwealth). Dieses Verfahren
ist für alle Beteiligten ganz außerordentlich anstrengend (!), aber auch
sehr lehrreich.
Anhängern einer auf direktem Verhaltenszwang beruhenden Zwangs- und
Vergeltungsstraf- Erziehung muß eine solche Konzeption als pure Humanitätsduselei,
Weichlichkeit, Unentschlossenheit, weiche Welle, als mangelndes
Durchsetzungsvermögen und unverantwortliche Schlamperei erscheinen.
3.5. Familie und Republik als Organisationsvorbilder
entinstitutionalisierter Heime
Die Unzweckmäßigkeit der reinen rationalen Zwangsherrschaft für Erziehungsheime
dürfte heute weitgehend anerkannt sein, die Kaserne scheidet
damit als Organisationsvorbild aus. Nach Bernfeld (1974b) lassen sich die
verschiedensten möglichen Vorbilder auf die drei idealtypischen Grundmuster
der Kaserne, der Familie und der Republik zurückführen.
Die weitaus häufigste Reaktion auf die Ablehnung der Anstalt ist die Orientierung
der Heimorganisation am Organisationsmodell der Familie, die
familienartige Heimerziehung, mit Familiengruppen, Hausvätern, Gruppenmüttern,
Kinderdorffamilien etc.
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