Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Tradition, deren Veränderung oder Nicht-Befolgung offenbar nie zur Debatte
stand.
Auch die sogenannte Verfassung des Landes FED war lediglich eine von
Makarenko nachträglich verfasste siebenseitige Beschreibung der sich in 5
Jahren herausgebildeten Traditionen und war nie Gesetz (vgl. Die Verfassung
des Landes FED, Makarenko 1974: 448).
Die formale Organisation der Selbstverwaltung und die Änderungen der
einzelnen Ämter und Zuständigkeiten sollen hier nicht im Einzelnen untersucht,
sondern nur grob der Entwicklungstrend dargestellt werden 555 .
Die von Anfang an - auch in der Gorki-Kolonie - bestehende meist wöchentliche
Vollversammlung diente der allgemeinen Information sowie der
Besprechung von wichtigen Vorfällen, Streitigkeiten und Arbeitsvorhaben.
Abgesehen von einer kurzen Periode bei der Übernahme des Kurjazer Kinderheims
fasste die Vollversammlung nur sehr selten Beschlüsse (wie den zur
Übersiedlung) oder tagte als Gericht.
In der Dzierzynski-Kommune wurde die Vollversammlung dann formal
zum höchsten Gremium aufgewertet, dessen Beschlüsse nicht einmal der
Kommuneleiter (wie in der Gorki-Kolonie), sondern nur die Trägerorganisation
abändern konnte 556 . Auch die Kommandeure wurden nun - auf Vorschlag
der Abteilungen - von der Vollversammlung gewählt. Formal ist dies
kaum von einer Selbstregierung zu unterscheiden 557 .
555 Siehe dazu näher Hillig u. Weitz (1971).
556 Das kann man als Aufwertung der Vollversammlung, aber auch als Abwertung des
Kommuneleiters Makarenko betrachten.
557 „Jeder Kommunarde kann in der Vollversammlung eine beliebige Frage aufwerfen. Es
steht jedoch im Ermessen des Vorsitzenden, die Frage zur Erörterung zu stellen oder sie
an den Rat der Kommandeure oder eine andere Organisation zu überweisen.
Zur Kompetenz der Vollversammlung gehören alle Fragen des kommunistischen Lebens.
Ihre Beschlüsse gelten als endgültig und können nur von der Kommuneverwaltung geändert
werden.
Die Vollversammlung ist berechtigt, im Falle besonders schwerer Vergehen den Kommunarden
Strafen aufzuerlegen: Urlaubsentzug, Entziehung des Kommunardentitels * ,
Entziehung des Taschengeldes, Tadel, Verweise, zusätzliche Arbeiten, Entlassung aus der
Arbeit und dem Betrieb, Absetzung als Kommandeur und schließlich Ersuchen bei der
Verwaltung um Entlassung aus der Kommune.“ (Die Verfassung des Landes FED, Makarenko
1974: 450)
* Dies bedeutete die Rückstufung zum Zögling, u. a. Ausgangssperre und Geldentzug:
„Im Unterschied zum Kommunarden darf der Zögling die Kommune nur mit schriftlicher
Erlaubnis verlassen; er kann jedesmal nur mit Genehmigung des Rats der Kommandeure
Geld von seinem Lohn in die Hand bekommen; er darf am Tage nicht ohne schriftliche
Erlaubnis die Schlafräume betreten; er kann weder in ein Organ der Kommunardenselbstverwaltung
gewählt werden noch Mitglied der Wachabteilung der Kommune sein.“,
hat aber aktives Stimmrecht. (Die Verfassung des Landes FED, Makarenko 1974: 449)
„Der Abteilungskommandeur hat im Verlauf des Arbeitstages in der Schule, im Schlafraum
und in Alltagsfragen über die Abteilung Befehlsrecht.
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