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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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wie man Laufen nur durch Laufen erlernt, muß das Heim dem normalen Leben<br />

so ähnlich wie möglich werden und das größte nur mögliche Maß an<br />

Freiheit und Beteiligung ermöglichen, die weitgehende Selbstbestimmung<br />

o<strong>der</strong> Mitbestimmung des eigenen Schicksals.<br />

Es geht nun nicht mehr um Disziplin im Heim. Im Gegenteil: das Heim<br />

muß geradezu danach streben, möglichst viele Möglichkeiten zum Fehlermachen<br />

und Disziplin-verletzen zu bieten. Denn nur durch Meidung möglicher,<br />

also nicht unmöglich gemachter Fehler kann die Vermeidung des Fehlers<br />

geübt werden. Und Fehler sollen möglichst frühzeitig im Heim gemacht<br />

werden, nicht erst später nach <strong>der</strong> Entlassung, wenn die Folgen schwerwiegen<strong>der</strong><br />

und die Lernmöglichkeiten schlechter sind. Disziplin soll durch Einsicht,<br />

nicht durch Strafangst entstehen.<br />

Menschen können nur dann gebessert werden, wenn man ihnen erlaubt, ihren<br />

freien Willen zu üben und <strong>aus</strong>zuüben. Nur wenn Regeln und For<strong>der</strong>ungen<br />

für den Insassen sinnvoll, einsichtig und akzeptabel sind und als Hilfe statt als<br />

Zwang erscheinen, kann man damit rechnen, daß er sie auch nach <strong>der</strong> Entlassung<br />

noch befolgen wird.<br />

Viele Jugendvergehen (d. h. Verstöße gegen zu erlernende Regeln) lassen<br />

sich betrachten als falsche Anwendungen eigentlich positiver Tugenden<br />

wie Selbständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstverantwortung, Selbstachtung<br />

(self respect), Selbstbewußtsein, Tapferkeit, Loyalität, Organisationstalent,<br />

Freiheitsliebe, (primitiver) Gerechtigkeitssinn, Mut, Kameradschaft (in <strong>der</strong><br />

Bande!) und Vertrauen auf das eigene Urteil.<br />

Solche Tugenden gelten als Grundlage von Moral, Humanität und Bürgertugend,<br />

sie werden im späteren Leben in Freiheit dringend benötigt 36 . Die<br />

systematische Zerstörung dieser Tugenden in <strong>der</strong> Kasernenanstalt hinterläßt<br />

bestenfalls harmlose, sozial unbrauchbare, abhängige menschliche Wracks<br />

und emotionale Krüppel. Es erscheint unsinnig, die bereits vorhandenen Ansätze<br />

für eine positive Entwicklung auch noch zu zerstören.<br />

Das entinstitutionalisierte Heim muß diese - manchen Jugendlichen noch<br />

unbekannten - Tugenden und Fähigkeiten aufbauen, för<strong>der</strong>n und pflegen und<br />

in positive, sozial akzeptable Bahnen lenken, um die besten Bürgertugenden<br />

zu erhalten. Einige Pädagogen (George, Lane, Osborne, Makarenko) ziehen<br />

deshalb gerade die stolzen, willensstarken, entschlossenen, schlimmen Delinquenten,<br />

die viele solche Tugenden besitzen, den unentschlossenen schwachen,<br />

in jede Richtung beeinflussbaren verführten Mitläufern vor. Im Gegensatz<br />

zur üblichen Ansicht betrachten sie die Selbstregierungsmethoden gerade<br />

für diese willensstarken Personen als sinnvoll, und nicht vornehmlich für die<br />

schwachen, ungefährlichen.<br />

36 Etwa um die Jahrhun<strong>der</strong>twende wurden entwürdigende und entehrende Strafen wie Kahlscheren<br />

und Prügel meist abgeschafft (Simonsohn 1969: 103).<br />

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