Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Makarenko betonte, daß jedes Kollektiv unbedingt von einer Einzelperson
geleitet werden soll, und „nach dem Typus ihrer Machtbefugnis ist die Einzelperson
immer ein Diktator, aber auch gleichzeitig Bevollmächtigter dieses
Kollektivs.“ (Makarenko 1956: 61)
An Makarenkos Arbeit lässt sich die geringe Bedeutung formaldemokratischer
Formen für die Etablierung von Demokratie, die Benutzbarkeit
dieser Formen zur Erzielung aktiven Gehorsams gegenüber beliebigen
vorgegebenen Vorstellung und Werten sowie die alles entscheidende Rolle
der Atmosphäre gut zeigen.
Die an Bürgerkriegserlebnisse der Kinder und vormilitärischen Unterricht
anknüpfenden militärischen Formen wie Uniform, Grußformen, Märsche,
Fahnen etc., selbst Befehl und Gehorsam scheinen anfänglich tatsächlich ein
abenteuerlich-fröhliches militärisches Spiel gewesen zu sein, so wie Makarenkos
es ursprünglich auch beschrieb 549 . Dies erscheint zunächst unproblematisch,
zumal da so große Einrichtungen sowieso ein größeres Maß an formaler
Ordnung benötigen und militärische Formen in der Jugendpflege und
Jugendfürsorge international durchaus die Regel waren.
Die äußeren Formen in Makarenkos Kolonien waren nahezu alle - bewußt
und in zunehmendem Maß - dem Militär entlehnt. Die Kopie ist perfekt, vom
mit einem Karabiner bewaffneten Posten und den Fahnenwachen bis zum
formellen Stubenappell. Im perfektionierten System militärischer Reglementierung
ist stets und für alles irgendjemand verantwortlich, kontrollierbar und
sanktionierbar. Makarenko stellte gern ehemalige Soldaten als Erzieher ein
und befehligte sie auch militärisch.
Auf den ersten Blick scheint tatsächlich die alte zaristische Militär-
Erziehungsanstalt wiederauferstanden, und Gendarmenexperiment und Kasernenerziehung
waren auch die immer wieder vorgebrachten häufigsten Kritikpunkte
an der Kommandeur-Pädagogik Makarenkos.
Doch der Geist, die Atmosphäre und die Methoden bei Makarenko waren
durchaus anders und moderner. Er wollte durch seine Perspektiven letztlich
eher innerlich als äußerlich disziplinieren. Anders als der aus bloßer Straf-
soluter Verbindlichkeit der Beschlüsse höherer (gewählter) Gremien für die unteren
Gremien ohne jede Diskussion. Andererseits gehören zu den Kennzeichen des Demokratischen
Zentralismus die demokratische Initiative, schöpferische Mitwirkung, eine gewisse
Autonomie der Unteren im Rahmen der verbindlichen Vorgaben von oben sowie
Wählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Staatsorgane (demokratisch). Der demokratische
Zentralismus grenzt sich ab gegen den bürokratischen Zentralismus einerseits und
übertriebenen Demokratismus und Anarchismus andererseits (vgl. Herder Lexikon Politik;
Kleines Politisches Lexikon, Berlin / DDR: Dietz 1973).
549 Dunstan (1984: 73 f.) erwähnt, daß Makarenko ursprünglich keineswegs militärbegeistert
war, sondern militärische Formen von seinem Bruder als Pfadfinder-Prinzipien übernahm.
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