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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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„Es stellt sich her<strong>aus</strong>, daß keiner in <strong>der</strong> Kolonie den Schwachen verteidigt, also muß<br />

ich es tun. Ich kann nicht dulden, daß einer hungert und krank wird, nur weil er im<br />

Spiel eine schlechte Karte bekommen hat.“ (Makarenko 1970: 88)<br />

Er beschrieb das Unglück eines wegen <strong>der</strong> Spielschulden <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Kolonie geflüchteten<br />

Kameraden in so grellen Farben, daß die Jungen daraufhin die<br />

Haupt-Spieler zwangen, nicht eher zurückzukommen, bis sie den Flüchtling<br />

wie<strong>der</strong>gefunden hätten (sie fanden ihn am selben Abend). Ausbeutung <strong>der</strong><br />

Kameraden durch Glücksspiel galt nun als verpönt.<br />

Bei dem in <strong>der</strong> Kolonie nun populären brutalen Schlage-Spiel Dieb und<br />

Denunziant spielte Makarenko bewußt am härtesten und brutalsten, mußte<br />

entsprechendes einstecken und errang auch so die Anerkennung <strong>der</strong> Jugendlichen.<br />

Die Kolonie hatte inzwischen eine ansehnliche Büchersammlung, die<br />

Kolonisten lasen viel, abends wurde vorgelesen, u. a. Gorki und Korolenko,<br />

gespielt o<strong>der</strong> Geschichten erzählt. Die Kolonie benannte sich beeindruckt<br />

nach Gorki.<br />

Im Frühling und Sommer begann <strong>der</strong> erbitterte, oft gewaltsame <strong>Kamp</strong>f mit<br />

den Bauern um die zum ehemaligen Adelsgut gehörigen Fel<strong>der</strong> und Gebäude,<br />

den die Dorf- und Koloniejugendlichen auch mit Messern und Gewehren<br />

<strong>aus</strong>trugen.<br />

Wegen <strong>der</strong> allgemeinen Mißernte 1921, die im ganzen Land zu katastrophaler<br />

Hungersnot führte, verfügte die Kolonie Anfang 1922 über kein Pferdefutter<br />

mehr und nahm unbefugt einige Wagenladungen Heu und Hafer als Naturalsteuer<br />

an. Der zuständige Ernährungskommissar verzichtete darauf, Makarenko<br />

deshalb verhaften zu lassen.<br />

Der Frühling 1922 begann mit systematischer Quälerei einiger Wehrloser<br />

und Schwacher, an denen man sich leicht abreagieren und risikolos als Held<br />

aufspielen und sein Geltungsbedürfnis befriedigen konnte. Man stahl ihnen<br />

Essen und Kleidung, brannte im Schlaf ihre Zehen an, schor sie kahl, bedrohte,<br />

prügelte, verhöhnte und hänselte sie heimlich. Die eingeschüchterten Opfer<br />

wagten keine Gegenwehr o<strong>der</strong> Beschwerde. Makarenko konnte nur mühsam<br />

gehin<strong>der</strong>t werden, in einem Wutanfall die Hauptakteure halbtotzuschlagen.<br />

Einer gelobte Besserung und erhielt als Strafe vier Tage bei Wasser und<br />

Brot, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e verließ die Kolonie, kehrte aber später zurück.<br />

„Ich konnte nach diesem neuen pädagogischen Sündenfall mein Gleichgewicht nicht<br />

wie<strong>der</strong>finden.“ (Makarenko 1970: 118)<br />

Makarenko zweifelte an seinen pädagogischen Vorstellungen und verzweifelte<br />

an seiner technischen Ohnmacht, war verbittert über die unbrauchbare<br />

pädagogische Wissenschaft, die ihm keine Rezepte und Techniken lieferte.<br />

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