Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Überleben benötigt, zur Herstellung der lebensnotwendigen Güter, vor allem
von Lebensmitteln. Den Heimen wurde per Dekret Ackerland zugeteilt, sie
wandelten sich von pädagogisch begründeten Arbeitserziehungs-
Einrichtungen notgedrungen zu Wirtschaftsunternehmen, sogenannten Kinderfarmen,
teilweise auch mit angestellten Arbeitern. Die Umstellung auf
Produktion lief unter dem Stichwort des wirtschaftlichen Wachsenlassens.
Es mangelte sehr an Werkzeugen und (Arbeits-) Tieren, doch Land war
vorhanden, das hatten die durchziehenden Heere nicht mitnehmen können. So
wurde meist eine primitive Landwirtschaft zur Selbstversorgung betrieben,
mögliche Überschüsse konnten am Markt verkauft werden 492 .
Werkstätten waren seltener und lagen meist in größeren Städten, insbesondere
(im Jahr 1922) in Poltawa, Charkow und Nykolajew. Auch hier waren
pädagogische Anschauungs-Werkstätten in primitive Produktionsbetriebe
verwandelt worden. Zu Anfang 1924 hatte sich die Lage zumindest soweit
entspannt, daß den Erziehern wieder ein Gehalt gezahlt wurde und neben der
Subsistenzproduktion wieder Zeit für Unterricht blieb (vgl. Die ukrainischen
Kinderanstalten... 1924).
In seiner offiziösen Schrift über das ukrainische Erziehungswesen beschrieb
Astermann (1922) das Kinderhaus:
Das Kinderhaus ... „ist eine in sich abgeschlossene kommunistische Organisation, wo
von Anfang bis zu Ende die Erziehung mit dem Unterricht verflochten ist, wo die
Kinder ihr Leben selbst aufbauen, wo es schwer ist, die Grenze zwischen den Interessen
des Pädagogen und denen des Kindes zu ziehen.“ ...
„Das Kinderhaus ist durch das einheitliche Interesse der kommunistischen Gesellschaft
zusammengeschweißt, welche ihre eigene Ethik, ihre für uns zuweilen unverständlichen
Gewohnheiten, ihre Arbeitsmethoden, ihre für uns bisweilen unerklärlichen
Zwecke und Aufgaben hat. Es ist lächerlich, hier von einer Arbeitsmethode zu
sprechen als von einem besonderen pädagogischen Verfahren. Die Sache steht so,
daß, wenn die Kinder selbst, freilich zusammen mit den Pädagogen, nicht für Brennmaterial
sorgen, sie frieren werden, wenn sie nicht an Speise denken, sie hungern
werden, wenn sie die Zimmer nicht reinigen, so bleiben sie im Schmutz.“ ...
„Die Selbstorganisation der Kinder ist nicht Resultat einer erdichteten pädagogischen
Theorie. Es ist das Ergebnis der Notwendigkeit, verursacht durch den Mangel
an Lehrkräften und Dienstpersonal.“ (Astermann 1922: 19 f.)
492 Der Aufsatz Die Ukrainischen Kinderanstalten (1924) beschreibt die Kinder-Wirtschaft
der Ukraine und nennt einige Zahlen für Gebiete und Bezirke. Die Mehrzahl der Anstalten
besaß 3 - 4 Desjatinen Land (1 Desjatine = 1,0925 Hektar). Namentlich genannt werden
(für 1922) nur 10 Anstalten mit besonders viel Ackerland oder Ausstattung, darunter
Makarenkos Gorki-Kolonie mit siebtgrößter Landfläche und drittgrößtem Tierbestand
unter den genannten zehn Einrichtungen.
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