Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Vorstellungen von der freien Erziehung und der Arbeitsschule. In der Ukraine
war die an den älteren Sozialutopien der Volkstümler (Narodniki) und dem
sozialrevolutionären Anarchokommunismus Kropotkins orientierte linksradikale
Richtung aber besonders stark ausgeprägt. Im utopischen Glauben der
Linksradikalen an den neuen Menschen und die neue Gesellschaft flossen
Bauernrevolution, städtische Proletarierherrschaft und die Befreiung des Kindes
und der Schule zusammen.
Während das Moskauer Volkskommissariat unter Lunatscharskij und
Krupskaja an der Reform der alten Buchschule zur polytechnischen Arbeitsschule
arbeitete, plante die linksradikale ukrainischen Sowjetregierung bereits
das allmähliche Absterben der Schule und die umfassende gesellschaftliche
Erziehung aller Kinder bis zum fünfzehnten Lebensjahr in „Kindergärten,
Kinderheime(n) und ‚Kinderstädtchen‘ (detskij gorodok), in denen - wie es in
der ‚Deklaration‘ hieß - ‚das Kind endlich seine Rechte realisieren kann‘.“
(Anweiler 1963: 272 - 273)
Ihr erklärtes Ziel war, die - sowieso zum nun offensichtlichen Untergang
verurteilte - Familie zu ersetzen durch die allgemeine staatliche öffentliche
Erziehung aller (nicht nur der verwaisten oder verwahrlosten!) Kinder in
Kinderhäusern. Dies waren Internate, Heimschulen / Schulheime neuer Art
für die neue Gesellschaft, eng mit dem Leben der Umgebung verbunden und
mit autonomer Gesetzgebung und Wirtschaft.
Da in der Ukraine über ein Zehntel der 7,6 Millionen unter fünfzehnjährigen
Kinder eltern-, heimat- oder obdachlos waren, hätte man auch bei einer
anderen pädagogischen Konzeption Heimerziehung in recht großem Stil betreiben
müssen. Wegen des allgemeinen Mangels waren Kinderhäuser zunächst
nicht für alle Kinder zu verwirklichen, man mußte sich vorerst auf die
fürsorgebedürftigen Kinder beschränken. Die Ausweitung blieb aber das
nachdrücklich erklärte Endziel.
„Im Kinderheim lagen nach Auffassung der maßgeblichen ukrainischen Pädagogen,
die im Dezember 1920 auch von der I. Parteikonferenz über Volksbildung bestätigt
wurde, die Keime für eine echte kommunistische Erziehung der Zukunft; aus der herkömmlichen
Fürsorgeerziehung für Waisen und Verwahrloste sollte die organisierte
‚proletarische‘ Erziehung im Geiste des Sozialismus treten.“ (Anweiler 1963: 274)
Wesentlicher Punkt des pädagogischen Konzeptes war die Arbeitsschule und
die Selbstbetätigung im Sinne einer Eingewöhnung in die Produktionsarbeit.
Anfänglich lieferte der Staat diesen Heimen, was sie brauchten (wieviel dies
im Bürgerkrieg gewesen sein mag, sei dahingestellt) und wies ihnen die
schönsten Häuser zu (Villen geflüchteter Großbürger).
Aufgrund des Mangels in der katastrophalen Hungersnot 1921 (bis 1923?)
war dies nicht mehr möglich. Die Arbeitskraft auch der Kinder wurde zum
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