Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

deutsche Diktatfrieden von Brest-Litowsk erzwang die Abtretung und Aufteilung
der deutsch besetzten Gebiete in unabhängige Einzelstaaten, darunter
auch die Ukraine.
Auf Weltkrieg und Revolution folgte der bis zum Sieg der Sowjetregierung
Ende 1920 ungleich erbitterter geführte Bürgerkrieg zwischen der Roten Armee
einerseits und den zaristischen Weißen Generälen und zeitweise den
wieder eingreifenden Großmächten (Großbritannien, Frankreich, Japan, USA;
Interventionskrieg) andererseits. Zumindest in der Ukraine kamen noch einige
andere Kriegsparteien hinzu: die Land erobernde polnische Armee, die bürgerlich-nationale
Regierung der Ukraine unter Petljura, der Hetman, die aufständischen
Atamane (regionale Heerführer; Warlords) und die bäuerlichanarchistische
Machnobewegung.
Im Dezember 1922 wurde durch die Gründung der Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken (UdSSR) der grösste Teil des alten Russischen Reiches
in einem (formal aus vielen Einzelrepubliken - u. a. der Ukraine - zusammengesetzten)
einheitlichen Staat wiedervereinigt.
Die Folge von über 6 Jahren Krieg (stets auf russischem, nie deutschem
Gebiet), Revolution und Bürgerkrieg waren ungeheure Zerstörungen, Desorganisation,
Zerrüttung des Wirtschafts-, Sozial- und Rechtssystems, Mißtrauen,
Demoralisierung, allgemeiner Mangel an allem, Hungersnöte und Landflucht.
Zur kriegsbedingten Familienauflösung und Familienzerrüttung (zerrissene
und zerbrochene Familien, Kriegswaisen) kam die Auflösung der alten sozialen
Ordnung und der überlieferten Vorstellungen als Folge der sozialistischen
Revolution.
Die Familienzerrüttung führte zu einer in Europa beispiellosen Jugendverwahrlosung
als Massenphänomen:
„In der Ukraine - seit 1918 Hauptschauplatz des Bürgerkrieges - war schätzungsweise
über ein Zehntel der 7,6 Millionen Kinder unter fünfzehn Jahren eltern-, heimat- oder
obdachlos und der sozialen Fürsorge bedürftig.“ (Anweiler 1963: 273)
Obdachlos streunende, verwahrloste Kinder und Jugendliche - oft in (kriegs-)
bewaffneten kriminellen Banden zusammengeschlossen - wurden vom Hunger
in die Städte getrieben, in denen ebenfalls Hunger und Arbeitslosigkeit
herrschte. Dort konzentrierten sich diese Jugendlichen zu einer eigenen sozialen
Klasse, den Besprisorni (oder Besprizornye), deren elendes Leben von
Maklezerow (1929) eindringlich beschrieben wurde.
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