Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

wachsenen und Kindern mit familiären Beziehungen untereinander, ohne jede
formale Disziplin.
Körperliche Arbeit spielte eine zentrale Rolle, und zwar nicht primär als
Mittel zur Selbstbedienung oder als Material für die geistige Arbeit, sondern
vor allem, um die kindliche Gemeinschaft nach und nach zu organisieren: Anfänglich
wurden nur die unumgänglichen Arbeiten täglich zugeteilt, doch aus
diesen Arbeiten heraus entstand nach und nach das gesellschaftliche Leben
der Kinder. Die Arbeit formte das kindliche Kollektiv. Aus der gemeinsamen
Beratung praktischer Fragen entstand eine organisierte Selbstverwaltung. Die
gemeinsamen Versammlungen entwickelten sich allmählich zur verbindlichen
Autorität, und ältere Kinder übernahmen geschwisterliche Verantwortung für
jüngere. Ausmaß, Inhalt und Formen der produktiven Arbeit in der Kolonie
wechselten und wuchsen von Jahr zu Jahr.
Statt Strafen gab es von der Versammlung beschlossene Verweise, die wieder
getilgt werden konnten. Doch in den ersten drei Jahren mußten vier Kinder
und Jugendliche, die sich in die Ordnung der Kolonie nicht einfinden
konnten, sie wieder verlassen.
Später wurde Arbeit individuell freiwillig übernommenen. Neben der Arbeit
entstanden als zunehmend wichtig werdender, wesentlicher Bestandteil
des Gemeinschaftslebens Bewegungsspiele, Theaterspiel und Musik, die vor
allem von Schazki (der Berufssänger hatte werden wollen) und seine Frau
ausgestaltet wurden.
Die Kinderinstitutionen sollten auch modellartige Vorwegnahme und Vorbereitung
des neuen gesellschaftlichen Lebens sein: In einem zweiten Schritt
sollte die pädagogische Insel mit den ökonomischen und den Lebensverhältnissen
des Bezirks verbunden und die Erziehungsarbeit mit Kindern erweitert
werden zur kulturell-ökonomischen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Schazkis zuvor als Ablenkung vom revolutionären Kampf kritisierte Pädagogik
wurde 1919 schließlich von der Sowjetmacht unterstützt.
20.3. Zeitverhältnisse in der Ukraine
20.3.1. Allgemeine Zustände in der frühsowjetischen Periode
Auf die russische Oktoberrevolution folgte eine starke Desorganisation und
katastrophale Niederlage der Armee gegen die deutschen und österreichischen
Truppen im ersten Weltkrieg. Der daraufhin für Rußland sehr harte
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