Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

20.2.2. Wentzels ‚Haus des freien Kindes‘
Haupttheoretiker der Freien Erziehung war Konstantin Nikolaevic Wentzel
(oder Ventcel, 1857 - 1947), der radikal die Befreiung des Kindes, die völlig
freie Entwicklung und Selbstorganisation der Kinder ohne jeden Erwachseneneinfluß
anstrebte: ohne jede Forderung und Vorschrift, ohne Zwang und
Strafe. Wentzel hegte sozialutopische, anarchistisch (Kropotkin) gefärbte
Vorstellungen und wünschte eine herrschaftslose freie Gesellschaft. Dazu
sollte nicht nur politische Herrschaft, sondern auch die Macht der Erzieher
und Eltern über Kinder abgeschafft werden.
Vom Ehepaar Gorbunov unterstützt, errichtete er im Jahre 1906 in Moskau
das Haus des freien Kindes für Kinder von 5 - 10 Jahren. Als die Kinder sich
wider Erwarten nicht selbst organisierten, übernahmen die Erwachsenen mit
schlechtem Gewissen und geringem Erfolg die Leitung. Nach 3 Jahren schloß
das Heim (vgl. Anweiler 1964: 48 - 52).
20.2.3. Schazkis ‚Munteres Leben‘
Erfolgreicher und bekannter war Stanislaw Teofilovic Sackij (oder
Schazki 488 , 1878 - 1934), der kurze Zeit im Haus des freien Kindes mitgearbeitet
hatte. Siebenundzwanzigjährig errichtete er 1905 zusammen mit seinem
Freund Aleksandr Ustinovic Zelenko (1871 - 1953, ein Architekt und ausgezeichneter
Kenner der europäischen und amerikanischen Schulverhältnisse)
unweit von Moskau im Dorf Scelkovo in einem heruntergekommenen Sommerhaus
mit Kindern aus einem Waisenhaus „etwas in der Art einer Kinderrepublik
nach amerikanischem Muster“ (Schazki nach Anweiler 1964: 56),
wovon Zelenko nach seiner Weltreise begeistert berichtet hatte. Ohne vorgefassten
Plan lebten sie selbst mehr instinktiv wie die Kinder und in festem
Glauben an sie engstens mit ihnen zusammen, wobei sich spontan und fast
naturwüchsig eine Kinderversammlung und eine Verfassung entwickelten.
Einige chemische Experimente waren die Anfänge einer sich langsam entwikkelnden
Schule.
Nach zwei Jahren konnte durch Spenden von Kaufleuten nach US-Vorbild
in einem Moskauer Arbeiterbezirk ein Settlement mit Kinderclubs und Kindergarten,
Grundschule und Ergänzungsschule für Halbwüchsige, Werkstätten
und Sommerkolonie, insgesamt für 250 Kinder und Jugendliche, gegründet
werden. Das Settlement wurde schon im Mai 1908 von den Behörden verboten,
da eine Erziehung zur vollen Selbständigkeit, zur
488 Zu Schazki vgl. Anweiler (1964: 54 - 65).
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