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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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ßen Debatten. Sie for<strong>der</strong>ten, daß je<strong>der</strong> Ältere zum Pfleger einer jüngeren<br />

Gruppe bestellt würde, führten Tischgebete und festlichere Sabbatfeiern ein,<br />

verlangten Schachspiele und Baukästen und ein Verbot von Rauchen und<br />

Kartenspiel.<br />

Auch Erwachsene wurden nun bei Gericht angeklagt.<br />

„Nach einem halben Jahr war jede Spur von Verwahrlosung von ihnen weggewischt;<br />

sie waren zwar nicht gebildet worden, und sie waren noch nicht erzogen, aber sie waren<br />

bildungs- und erziehungsfähig und -willig geworden. Aus drei Haufen von Egoisten<br />

ist eine wohlorganisierte Schulgemeinschaft, durchpulst von Liebe, Freundschaft,<br />

Gemeingeist, ja selbst von Aufopferung erwachsen.“ (Bernfeld 1974a: 119)<br />

Als beim Weggang <strong>der</strong> Pädagogen um Bernfeld die Schulgemeinde aufgelöst<br />

wurde, herrschten Trauer und Ratlosigkeit bei den Kin<strong>der</strong>n.<br />

19.3.4. Gericht<br />

Das Gericht war von den Erziehern eigentlich eher als eine vorübergehende<br />

Verlegenheitslösung gedacht, bei <strong>der</strong> sie Angeberei und Feindschaften befürchteten.<br />

Als die aber wi<strong>der</strong> Erwarten nicht eintrafen und die große Wirkung<br />

auf jüngere Kin<strong>der</strong> sichtbar wurde, behielt man es bei.<br />

Die erste Gerichtssitzung fand schon einen Tag nach <strong>der</strong> ersten Schulgemeinde<br />

statt, mit dem Ausschuß unter Bernfelds Vorsitz als mit Stimmenmehrheit<br />

beschließendem Richtergremium. Das Gericht sollte lediglich die<br />

äußere Ordnung bewahren, eigentliche Erziehung war dabei nicht beabsichtigt<br />

(dafür waren die Kwuzoth-Gemeinschaften zuständig).<br />

In den ersten Monaten wurden meist einige typische Delikte verhandelt:<br />

ernste Prügeleien, Diebstähle und Essensschwindel. Über nicht erschienene<br />

Angeklagte wurde in Abwesenheit verhandelt. Kläger waren meist die Ordner,<br />

die mehr und mehr von ihrer anfänglichen (unerlaubten) Selbstjustiz abgingen<br />

und zu fanatischen Rechtshütern wurden.<br />

Die Strafen waren nicht beson<strong>der</strong>s hart und auch nicht gefürchtet (obwohl<br />

zwei Kin<strong>der</strong> <strong>aus</strong> dem Heim <strong>aus</strong>geschlossen und zweimal ein allgemeiner<br />

Boykott verhängt wurde). Gefürchtet wurde eher die Verurteilung selbst als<br />

die Strafe.<br />

Strafen wurden (wie auch in an<strong>der</strong>e <strong>Kin<strong>der</strong>republiken</strong>) ruhig und fast zufrieden<br />

aufgenommen und ohne Groll auf Kläger, Richter o<strong>der</strong> Zeugen penibel<br />

abgebüßt.<br />

Im Gegensatz zu den Verurteilten waren die Zuschauer (das ganze Heim<br />

verfolgte gespannt die Verhandlung) <strong>der</strong> ersten Gerichtsverhandlung hellauf<br />

empört: sie begriffen erst jetzt, daß die Selbstregierung kein bloßes Spiel<br />

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