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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Die bislang so arbeitsscheuen Kin<strong>der</strong> beklagten nun, daß es zwar viel zu<br />

reden gebe, aber zu wenig praktisch zu tun. Sie stürzen sich auf jede praktische<br />

Tätigkeit wie Protokolle schreiben, läuten etc. und gaben so <strong>der</strong> Selbstregierung<br />

einen eher spielerischen Zug.<br />

Die (<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Jugendbewegung kommenden) Pädagogen waren damit zunächst<br />

recht unzufrieden, da sie eine Selbstbestimmung <strong>der</strong> Jugend ähnlich<br />

den Gemeindeversammlungen <strong>der</strong> Jugendbewegung anstrebten. Sie bemerkten<br />

dann aber, daß bei Kin<strong>der</strong>n gerade auch die Selbst-Verwaltung eine angemessene<br />

Form ist (Bernfeld 1974a: 150 f.).<br />

Nach einem Vierteljahr ohne jeden moralischen Fortschritt seit <strong>der</strong> Eröffnung<br />

begann die verän<strong>der</strong>te Affektlage recht plötzlich und sprunghaft auch im<br />

Verhalten sichtbar zu werden, erstmals feststellbar etwa ab Mitte Januar<br />

1920, und bis Ende Februar o<strong>der</strong> Mitte März vollständig erreicht.<br />

Die Kin<strong>der</strong> hatten nun ihr früheres Unglück weitgehend abreagiert und ein<br />

eigenes Affektleben wie<strong>der</strong>gewonnen. Sie begannen, ihre freigewordenen<br />

Affekte neu zu binden an Freunde, Lehrer, Kwuzoth, Histadruth, Schulgemeinde<br />

und Heim. Die verän<strong>der</strong>ten Affekte führen zu einem echten, nicht nur<br />

oberflächlich neuen Verhalten.<br />

Die bislang mißtrauischen, gehässig-aggressiven und feindselig-asozialen<br />

Kin<strong>der</strong> äußerten ihre Meinung nun offen und ehrlich, aber ohne den bisherigen<br />

Unglücks-Jammerton, ohne Schmeicheleien, liebevoll und rücksichtsvoll.<br />

Die Frechheit gegen Lehrer hörte auf zugunsten einer kameradschaftlichen<br />

Zusammenarbeit. Die Kin<strong>der</strong> fühlten sich nun im Heim zu H<strong>aus</strong>e und sehnten<br />

sich nicht mehr nach den Auslandsverschickungen, wollten oft lieber im Heim<br />

bleiben.<br />

Die Kin<strong>der</strong> wollten die Selbstverwaltung durch die Selbstwirtschaft ergänzen<br />

und möglichst alle für das Heim nötigen Arbeiten selbst (gemeinsam<br />

mit den Erwachsenen) übernehmen, auch die unangenehmen und schweren.<br />

Sie dachten neue Organisationsformen <strong>aus</strong>, die sie zu besserem Verhalten anhalten<br />

o<strong>der</strong> zwingen würden, mischten sich in die Verwaltung ein, organisierten<br />

einen Laden, das Postamt und die Darlehenskasse, eine Schulgemeinde-<br />

Zeitschrift sowie Theater- und Konzertbesuche. Sie entwarfen auch ein gerechteres<br />

System <strong>der</strong> Essensverteilung (Zusatzportionen für diejenigen, die<br />

sich nie bei Verwandten sattessen konnten). Die Heimverwaltung roch aber<br />

wie<strong>der</strong> den Sozialismus und macht dies von vornherein unmöglich.<br />

Die Kin<strong>der</strong> wollten nach <strong>der</strong> erreichten technischen Ordnung nun<br />

auch eine moralische Ordnung erreichen 487 und innere Selbstbeherrschung<br />

üben. Dies stärkte auch die äußere Ordnung sehr und führte zu hei-<br />

487 Dies dürfte nicht ganz ohne die bereits erwähnte moralpädagogische Beeinflussung vorgegangen<br />

sein.<br />

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