Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

‚Clare, die andere diktatorisch herumkommandiert hatte, wurde auf Enas Vorschlag
einstimmig zur Königin von Summerhill gewählt, jemand bastelte ihr auch eine Krone.
‚Die Benutzung von ein wenig Psychologie kann ihre Haltung leicht ändern‘,
meinte Ena, und bat gelegentlich Königin Clare um die gnädige Erlaubnis, etwas tun
zu dürfen.‘ 471
Stephens (1988: 30) gibt eine ungewöhnlich konkrete Beschreibung der praktischen
Funktionsweise der Summerhill-Selbstregierung, einschließlich der
inzwischen eingeführten Anwälte (Ombudsmen) bei Streitigkeiten:
„Hier werden die sozialen Aktivitäten durch eine Vielzahl von Komitees koordiniert,
die gewöhnlich jeweils fünf Mitglieder umfassen. Diese werden durch ‚das Herumgehenlassen
des Buches‘ gewählt: zum einen, um die Kandidaten aufzustellen und zum
anderen, um für jedes Mitglied der Gemeinschaft seine Stimme abgeben zu können.
Die Selbstverwaltung zeigt sich in Summerhill in vier Einrichtungen: den ‚Komitees‘,
den ‚Ombudsmännern‘, dem ‚Tribunal‘ und dem ‚Meeting‘.
Die Ombudsmänner sind freiwillige Schiedsrichter aus den Reihen der Kinder (im
Alter von 6 bis 16 Jahren), die sich alle vierzehn Tage abwechseln und versuchen,
kleinere Probleme zu lösen. Sollte jedoch ein Problem nicht zu bewältigen oder eine
der Parteien mit der vom Ombudsmann vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden
sein, bleibt es jedem überlassen, es vor das Tribunal zu bringen, das wie das Meeting
wöchentlich unter Teilnahme von 70 Kindern und 11 Erziehern tagt. Sowohl das Tribunal
als auch das Meeting werden von einem Freiwilligen geleitet, der sich strikt
neutral verhalten muß. Entscheidungen werden auf der Basis von Mehrheitsbeschlüssen
getroffen, wobei jede Person über eine Stimme verfügt. Bei dem freitäglichen Tribunal
handelt es sich um ein juristisches Gremium, während das samstägliche Meeting
als eine legislative Versammlung gilt. Dem Meeting obliegt die Rechtsprechung
über alle Bereiche des Schullebens mit Ausnahme der von Gesundheit, Sicherheit und
Verwaltung, für die allein die Direktorin zuständig ist. Verhängt das Meeting eine
Strafe, so kann jeder von jedem bestraft werden, ohne daß eine bestimmte Gruppe das
Monopol zur Aufrechterhaltung der Ordnung beanspruchen kann. Alle Strafen müssen
jedoch von der ganzen Gemeinschaft im Tribunal bestätigt werden mit Ausnahme
(aus praktischen Gründen) derer wegen Verstößen gegen die Schlafenszeiten. Da es
oft zur Schlafenszeit zu laut ist, sorgen freiwillige ‚Schlaf-Offiziere‘ dafür, daß die
anderen Kinder ruhig zu Bett gehen. Diese sind berechtigt, Verstöße gegen die
Schlafenszeiten zu bestrafen, ohne auf das wöchentliche Tribunal warten zu müssen;
jeder kann aber im Meeting gegen jede Strafe Berufung einlegen. Im Meeting können
auch alle Schul‚offiziellen‘ - Vorsitzende, Ombudsmänner, Schlafoffiziere und Komiteemitglieder
- aus ihren Ämtern entlassen werden. Alle diese Posten sind weder mit
einer Vergütung noch mit Privilegien oder
471 „Clare, who had also been bossing others, was at Enas suggestion - unanimously elected
Queen of Summerhill, and someone undertook to make her a crown. ‚Using a bit of psychology‘,
suggested Ena, occasionally asking Queen Clare's gracious permission to do
things might well transform her attitude, she thought.“ (Newell 1981: 20) Genau derselbe
Vorfall wird auch beschrieben im gleichzeitig entstandenen 45-minütigen Fernsehfilm
Summerhill heute - Das Ende einer Legende? Eine Dokumentation von Juliane Schuhler,
(c)1981 Bayrischer Rundfunk.
441