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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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In seinem Buch Massenpsychologie des Faschismus führte Reich - ähnlich<br />

wie die Freudo-marxistische Frankfurter Schule (Max Horkheimer, Theodor<br />

Adorno, Herbert Marcuse, Erich Fromm) und wie die Adler-Marxisten Alice<br />

und Otto Rühle (vgl. Kapitel 16.1.2.) - den Faschismus auf eine autoritäre<br />

Charakterstruktur <strong>der</strong> Individuen zurück, die wie<strong>der</strong>um mit den gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen zusammenhängt (Klassengesellschaft, autoritäres System,<br />

patriarchalische Zwangsfamilie). Die Politik brauche den Faschismus nicht<br />

einmal selbst zu erzeugen, sie brauche lediglich die latent bereits vorhandenen<br />

Faschisten zu organisieren.<br />

Der gesellschaftlich / kulturell erzeugte Todestrieb (Freud) bzw. die emotionale<br />

Pest (Reich) war nicht eine vereinzelt auftretende Krankheit, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> gesellschaftliche Regelfall, die Normalität. Reich sah angesichts dieser<br />

weiten Verbreitung und Normalität <strong>der</strong> autoritären Prägung die Grenzen von<br />

Therapie.<br />

„Der Haken an <strong>der</strong> Psychoanalyse ist, daß sie sich mit Worten befaßt, während aller<br />

Schaden einem Kind zugefügt wird, bevor es sprechen kann.“ (Reich, in Neill 1982:<br />

177)<br />

„Ich zweifle, ob irgendeine Therapie je zu den Wurzeln <strong>der</strong> Neurosen vordringen<br />

wird. In den frühen zwanziger Jahren forschten wir alle nach dem berühmten, die<br />

Krankheit verursachenden Trauma. Wir fanden es nie, weil kein Trauma existierte,<br />

wohl aber eine Überfülle traumatischer Erlebnisse vom Augenblick <strong>der</strong> Geburt an.<br />

Reich erkannte, daß nicht Therapie die Antwort war, son<strong>der</strong>n nur Prophylaxe war,<br />

und er hielt an seiner therapeutischen Praxis hauptsächlich deswegen fest, um das<br />

Mit Reichs Entdeckung des Muskelpanzers, <strong>der</strong> Lokalisierung <strong>der</strong> Neurosen in spezifischen<br />

Muskelverspannungen, die ihrerseits den freien Energiefluss hin<strong>der</strong>n und damit<br />

Stauungen <strong>der</strong> Libido bewirken, entwickelte sich in den 30er Jahren die Charakteranalyse<br />

weiter zur Vegetotherapie, einer Kombination von Gespräch und Massage <strong>der</strong> neurotisch<br />

verspannten Muskelpartien (in denen die Neurosen sitzen).<br />

Reich suchte nicht mehr einzelne Symptome und Neurosen zu heilen, son<strong>der</strong>n die Reaktionsbasis<br />

dieser Neurosen, den neurotischen Charakter.<br />

Charakter ist dabei die typische stereotype Weise des Agierens und Reagierens einer Person.<br />

Wichtig ist <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> Beweglichkeit, d. h. ob die Abwehr zwangsartig, vollautomatisch<br />

und chronisch funktioniert (Panzerung), o<strong>der</strong> ob die Möglichkeit <strong>der</strong> willentlichen<br />

Steuerung <strong>der</strong> Abwehr verbleibt, d. h. die Person selbst über ihre Abwehr verfügen<br />

kann und damit psychisch beweglicher ist. Eine automatisch gewordene starre Abwehr<br />

verbraucht viel Libidoenergie und schwächt damit die Lust- und Leistungsfähigkeit. Zur<br />

Heilung <strong>der</strong> sexuellen Unterdrückung muß <strong>der</strong> starre Charakterpanzer durchbrochen<br />

werden, d. h. die Abwehrmechanismen, <strong>der</strong> Grad des Schutzes und <strong>der</strong> Abschottung nach<br />

außen müssen wie<strong>der</strong> je nach Situation und Umgebung frei wählbar, steuerbar, verfügbar<br />

werden.<br />

Reich wich beträchtlich von den traditionellen psychoanalytischen Methoden<br />

(Traumdeutung und Assoziation) ab und baute seine eigene Methode <strong>der</strong> Charakteranalyse<br />

<strong>aus</strong>. Persönliche und inhaltliche Differenzen führten 1927 nach Erscheinen von Reichs<br />

Die Funktion des Orgasmus zum faktischen (aber anscheinend bei<strong>der</strong>seits verhehlten und<br />

nur verbissen versteckt hinter den Kulissen <strong>aus</strong>getragenen) Bruch mit Freud. Reich fasste<br />

dies so auf, daß <strong>der</strong> bürgerlicher Kulturphilosoph Freud über den Naturwissenschaftler<br />

Freud gesiegt habe.<br />

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