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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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spitzten Pointieren 392 und redete nicht drumherum: Als Neill 1949 in einem<br />

Vortrag falsche Höflichkeit und Drumherumreden angriff und als Beispiel<br />

erwähnte, seine Tochter habe immer offen gesagt Neill, ich muß scheißen,<br />

verließen etliche Damen demonstrativ den Saal (Croall 1984: 336 - 337).<br />

Diese Art von Publicity mag den zweifelhaften Ruf Summerhills mitgeprägt<br />

haben.<br />

Sein humorvolles, freundlich-zurückhaltendes, unaufdringlich bescheidenes<br />

und besänftigendes Auftreten stand dabei im Gegensatz zum Wortlaut seiner<br />

radikalen Predigt-Reden und nahm dem Wortlaut die Schärfe.<br />

Neill berichtete in seinen Büchern und Vorträgen mit Vorliebe und übertriebener<br />

Häufigkeit Beispiele von scheibeneinwerfenden Kin<strong>der</strong>, davon, wie<br />

er sich von einem Kind schlagen ließ, wie er einmal seine Drechselbank mißhandeln<br />

ließ, wie er half, die Hühner des Nachbarn zu stehlen (die sofort zurückflogen),<br />

wie er einem Jungen beim Ladendiebstahl half (nach vorheriger<br />

Absprache mit dem Ladenbesitzer)... Zwar wird bei genauerer und ruhiger<br />

Betrachtung im Zusammenhang klar, daß er damit Ausnahmen beschreibt, die<br />

er - im Laufe seiner fünfzigjährigen Schulleitung - in wohlerwogenen Einzelfällen<br />

bei bestimmten schwer gestörten einzelnen Kin<strong>der</strong>n zu therapeutischen<br />

Zwecken <strong>aus</strong>nahmsweise zuließ, för<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> woran er sich beteiligte, um<br />

eine Heilung zu beschleunigen, o<strong>der</strong> auch, um den Spaß <strong>der</strong> Provokation zu<br />

ver<strong>der</strong>ben. Doch sind diese Beispiele keinesfalls hinreichend als Ausnahmen<br />

gekennzeichnet und täuschen beim üblichen flüchtigen Leser o<strong>der</strong> Zuhörer<br />

eine Permissivität Summerhills vor, die es tatsächlich so gar nicht gab und<br />

auch gar nicht geben sollte. Der Regelfall, nämlich daß jegliche Zerstörung,<br />

Gewaltanwendung und je<strong>der</strong> Diebstahl in Summerhill<br />

392 So soll er etwa auf die Frage, was er täte, wenn sein Kind Nägel ins Klavier hämmere,<br />

geantwortet haben, das Glück seines Kindes sei ihm wichtiger als ein Klavier (vgl. Croall<br />

1984: 232). Diese typische überspitzte - aber wörtlich genommen unzweifelhaft richtige -<br />

Antwort verfehlt den Kern <strong>der</strong> Frage (Grenzsetzung) und provoziert unweigerlich das<br />

(dann heftig beklagte) Mißverständnis, Neill erlaube die Mißhandlung von Klavieren und<br />

betrachte diejenigen, die ein Kind daran hin<strong>der</strong>n, als lieblose Rabeneltern, die ihrem Kind<br />

Schaden zufügen.<br />

Schon Neills Beschreibung seiner Abteilung in Hellerau, die auch eine Art Grundsatzerklärung<br />

ist (abgedruckt in Kapitel 17.2.3.), enthielt äußerst verkürzende Äußerungen: Als<br />

die Kin<strong>der</strong> mit den von Neill gebauten Apparaten zur Erleichterung des Mathematikunterrichts<br />

nur Fußball spielten, schloß Neill dar<strong>aus</strong>, daß freie Kin<strong>der</strong> eben keine Apparate<br />

brauchen. Dies klingt sehr nach dem Recht freier Kin<strong>der</strong>, mit sämtlichen Lehrmitteln<br />

Fußball zu treten.<br />

Und zwei Seiten weiter: Unsere Erziehung bedeutet in Kürze, dem Interesse des Kindes<br />

zu folgen. Das Kind muß sein Interesse <strong>aus</strong>leben, ob es nun Fensterscheiben-einwerfen<br />

o<strong>der</strong> Foxtrotts o<strong>der</strong> Frechheiten sind. Allgemein und wörtlich genommen wäre dies genau<br />

das, was die Gegner Summerhill stets vorwarfen: Daß Kin<strong>der</strong> hier beliebig und ohne<br />

Regeln alles mißbrauchen, zerstören und grenzenlos frech sein dürfen. Neill hat dies<br />

zweifellos nicht so gemeint, er hat es jedoch so geschrieben, und seine Gegner haben ihm<br />

dies begreiflicherweise vorgeworfen.<br />

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