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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Die Eheleute Neustätter lebten und arbeiteten zwar in freundlichem Einverständnis,<br />

hatten sich während <strong>der</strong> langen kriegsbedingten Trennung aber<br />

einan<strong>der</strong> entfremdet. Frau Neustätter und den 11½ Jahre jüngeren Neill verband<br />

eine enge, aber völlig unerotische unsexuelle Arbeitsbeziehung 314<br />

Neill suchte und fand (mit Mühe) geeignetes neues Personal, wie Willa<br />

Muir 315 und Prof. Zutt 316 , den Neill sehr bewun<strong>der</strong>te, und eröffnet neu<br />

314 So schreibt Croall (1984: 116, 127). Allerdings erwähnt Neill (1923a 220-222, 209, 226)<br />

in <strong>der</strong> Zeit zwischen Pfingstferien und Ende Juni 1922 (also direkt nach <strong>der</strong> Schulübernahme)<br />

Phantasien über Bigamie, und daß seine [sehr freundschaftliche] Haltung zu Otto<br />

[Neustätter] psychischer Selbstbetrug sei. Neills (1923a) zweifellos freundschaftliche<br />

Darstellung O. Neustätters enthält häufig auch einen leichten, aber auffallenden, spöttisch<br />

abwertenden Ton, so daß man zumindest ein uneingestandenes Rivalitätsgefühl Neills<br />

annehmen muß. Neill und Frau Neustätter heiraten 1927.<br />

315 Neill kannte Willa Muir (geborene An<strong>der</strong>son) <strong>aus</strong> seiner Studienzeit. Sie leitete (ca.<br />

1920/21) die Day Continuation School des Selfridges-Kaufh<strong>aus</strong>es nach reformpädagogischen<br />

Grundsätzen (eine betriebseigene Berufsschule für mehrere hun<strong>der</strong>t Lehrlinge sowie<br />

Weiterbildungseinrichtung für den gesamten Großbetrieb). Woods (1920: 195-202)<br />

beschrieb die Einrichtung <strong>aus</strong>führlich als das in diesem Bereich vorbildliche Erziehungsexperiment<br />

in England. Nachdem aber die New Era über diese Schule berichtete, wurde<br />

Willa Muir entlassen wegen ihres subversiven Einflusses auf die jungen Beschäftigten<br />

(Freiwilligkeit und Selbstbestimmung spielten eine große Rolle). Willa Muir war verheiratet<br />

mit dem Poeten Edwin Muir, mit dem zusammen sie auch viele deutsche Bücher ins<br />

Englische übersetzte. Die beiden wan<strong>der</strong>ten durch Europa, als Neill sie an einer Dresdner<br />

Straßenbahnhaltestelle traf und Willa für die Schule anwarb. Sie lehrte ein knappes Jahr<br />

in Hellerau und lebte später eine Weile in Sonntagberg. Vgl. die Autobiographien von<br />

Edwin Muir 1968 und Willa Muir 1968).<br />

„Mit Neill kamen zwei ungewöhnliche Menschen: Willa und Edwin Muir, Dichter, Kritiker<br />

und Übersetzer. Neill und Willa Muir wurden meine ersten Englisch-Lehrer. Wenn<br />

ich heute überhaupt etwas von <strong>der</strong> Sprache verstehe, die inzwischen die Muttersprache<br />

meiner Kin<strong>der</strong> geworden ist, so danke ich es diesen beiden Menschen.“ (de Mendelssohn<br />

1993: 53, vgl. 14 f.)<br />

316 Prof. R. A. Zutt, ein schweizer Handwerkslehrer und Kunsthandwerker, <strong>der</strong> 15 Jahre lang<br />

eine eigene Schule in Budapest hatte, war ein geschickter Handwerker in Metall und in<br />

Ton. Er übertrug Franz Cizeks Motto Zeichnen ist Ausdrucksmittel analog vom Zeichenunterricht<br />

auf den Handwerksunterricht und sah das Hand-<strong>Wer</strong>k als Ausdrucksmittel <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>:<br />

Es sollen Gefühle und Vorstellungen spontan <strong>aus</strong>gedrückt und gestaltet werden, das Kind<br />

soll seine kreativen Anlagen verwirklichen. Dem Kind soll jede Freiheit gelassen werden.<br />

Der wesentliche Antrieb soll die Arbeits-Freude sein, die aber an Schulen üblicherweise<br />

unterdrückt und abgetötet wird. Insofern steht Zutts Handwerksunterricht im scharfen<br />

Gegensatz zum üblichen schulischen Handwerksunterricht. Dem Kind sollen ohne jeden<br />

Zwang alle Möglichkeiten geboten werden, „die verschiedenen Techniken freudig, fast<br />

spielend, so doch ernst zu erlernen (nicht dilettantisch im Sinne von Halbheit)“ (Zutt<br />

1923: 68). Beseitigt werden sollen alle Hemmungen beim Gestalten. Zutts handwerkliche<br />

Erziehung benötigt keine Begabung und zielt nicht auf manuelle Fähigkeiten, son<strong>der</strong>n<br />

will das innerliche Erleben, das Selbstvertrauen zu selbstschöpferischem Tun, das<br />

freudige Handeln, die Ausdruckskraft, den Willen, selbständige eigene ernste Taten zu<br />

vollbringen, erhalten, för<strong>der</strong>n und entwickeln. Aus glücklicher gemeinsamer Arbeit soll<br />

dann praktisch von selbst auch ein soziales Gemeinschaftsgefühl entstehen (vgl. Zutt<br />

1923).<br />

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