09.12.2012 Aufrufe

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

eigen tanzte und ebensolche Lie<strong>der</strong> sang. Diese durchgeistigten, puritanischen<br />

Asketen, die vom Lehrer die völlige Selbstaufopferung für die Kin<strong>der</strong><br />

for<strong>der</strong>ten, bezeichnete Neill als mo<strong>der</strong>ne Mönche und Selbstbestrafer, die unbewußt<br />

nach all den gesellschaftlichen Sünden lechzten (Alkohol, Tabak,<br />

Foxtrott, Kino), bewußt aber diese eigenen Wünsche unterdrückten und umso<br />

schärfer und lauter in an<strong>der</strong>en ablehnten und bekämpften. In Schulen gelehrt<br />

schien Neill ein solcher Wan<strong>der</strong>vögelism gefährlich.<br />

Ein ehemaliger Schüler <strong>der</strong> Neuen Schule schrieb:<br />

„Es war faszinierend zu sehen - o<strong>der</strong> zu spüren, wenn <strong>der</strong> Knabe es noch nicht klaren<br />

Auges zu sehen vermochte - wie die mystische Autorität, die auf uns Kin<strong>der</strong> von<br />

Carl Theil <strong>aus</strong>strahlte, mit dem kühnen Pragmatismus des aller Metaphysik abholden<br />

schottischen Erziehers zusammenfloß. Natürlich wußten wir Kin<strong>der</strong> - deutsche, englische,<br />

französische, skandinavische, österreichische, ungarische Kin<strong>der</strong> (ein blühendes,<br />

duftendes, halbwüchsiges Mädchen, das Mary Maurissen hieß, war eine Griechin<br />

<strong>aus</strong> Amerika) - natürlich wußten wir nicht, was diesen erregenden Spannungen zwischen<br />

<strong>der</strong> deutschen und englischen Welt und ihren vielen Einsprengseln zugrunde<br />

lag. Aber wir spürten sie in jedem Augenblick, waren unserer glückhaften Bevorzugung<br />

in dieser Welt durch<strong>aus</strong> inne, begriffen sehr wohl, daß wir ‚neue Kin<strong>der</strong>‘ waren<br />

und ganz Neues von uns erwartet wurde.“ (de Mendelssohn 1993: 54, vgl. 14 f.)<br />

Zunächst arrangierten sich die Vertreter <strong>der</strong> gegensätzlichen Richtungen und<br />

versuchten in sechsmonatigen Verhandlungen vergeblich, die Meinungsverschiedenheiten<br />

<strong>aus</strong>zuräumen. Diese erwiesen sich aber als kaum überbrückbarer<br />

Konflikt zwischen den radikalen Vertretern ganz unterschiedlicher Richtungen.<br />

Schließlich gab <strong>der</strong> unmittelbar bevorstehende finanzielle Ruin 308<br />

<strong>der</strong> pädagogisch florierenden Schule den Ausschlag: Die alten Lehrer wurden<br />

entlassen, wohnten teilweise aber noch einige Monate weiter auf dem Schulgelände<br />

309 . Die deutschen Eltern und Schüler waren deutlich unzufrieden<br />

damit, daß zwei Auslän<strong>der</strong> ihre Schule drastisch verän<strong>der</strong>ten und das deutsche<br />

Personal <strong>aus</strong>booteten, und nicht alle Schüler übertrugen ihre Loyalität<br />

auf Neill. Ein ehemaliger Schüler erinnert sich:<br />

308 Die Schule hatte von Anfang an erhebliche Geldprobleme und stand ständig am Rande<br />

des Bankrotts. Dies beginnt vor <strong>der</strong> Schuleröffnung (vgl. Akte Privatschule), wird bei<br />

Theil (1921: 90) dramatisch beschrieben und auch von Max Nitzsche (1923) sowie (nach<br />

<strong>der</strong> Übernahme) in Harless Briefen (Juni 1922, nach <strong>Martin</strong> Näf) als existenzgefährdend<br />

betont.<br />

309 In den schuleigenen Wohngebäuden, die die Bildungsanstalt auf drei Seiten umgeben,<br />

und dem Schulheim.<br />

Die Lehrer fanden aber (wohl vor Pfingsten 1922) ein altes Schloß, in dem sie ihre<br />

Schule neu errichten wollten (Neill 1923a: 178). Auf dem Titelblatt des <strong>Wer</strong>denden<br />

Zeitalters wird einige Jahre später Dr. Carl Theil, Jena regelmäßig als ständiger Mitarbeiter<br />

genannt.<br />

Im Adressbuch 1922/23 finden sich als Bewohner <strong>der</strong> Bildungsanstalt mit <strong>aus</strong>drücklichem<br />

Vermerk an <strong>der</strong> Privatschule Hellerau neben C. Theil nur noch <strong>der</strong> Lehrer Hellmut<br />

Eckardt und die Studienassessorin Elisabeth Knodt.<br />

347

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!