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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Geheeb und Wyneken waren beide Asketen und <strong>aus</strong>gebildete Theologen.<br />

Für sie war „die Kultur“ eine Art innerweltlicher Religion, war Ziel und<br />

höchste Autorität. Ihnen ging es um Ideale, <strong>Wer</strong>te, Moral, Ethik und Askese.<br />

Sie übten keine gewaltsame autoritäre Zwangsautorität <strong>aus</strong>, son<strong>der</strong>n geistige<br />

Autorität (Autorität im lateinischen Wortsinn, im Gegensatz zur gewaltsamen<br />

Potestas). Sie waren Führerpersönlichkeiten, die kraft charismatischer<br />

Autorität führten und führen wollten, wenn auch in kameradschaftlichen Formen,<br />

und wünschten eine (freiwillige) Gefolgschaft. Sie waren Autoritäten<br />

und Führer zu vorgegebenen (letztlich metaphysischen) Idealideen und wollten<br />

es sein. Diese vorgegebenen und erwarteten Ideale schränkten die propagierte<br />

Freiheit und Selbstbestimmung in gewisser Weise ein, denn die Zustimmung<br />

zu diesen Idealen und eine persönliche Gefolgschaft wurden<br />

(gewissermaßen freiwillig) erwartet.<br />

Die deutschen Lehrer werden von Neill als jugendbewegte hochgebildete<br />

Idealisten in Wan<strong>der</strong>vogelkleidung beschrieben, als stets ernste Charakterbildner,<br />

die alles auf erzieherischen <strong>Wer</strong>t hin prüften und Alkohol, Tabak,<br />

Kinos und Foxtrott verabscheuten. Laut Neill waren sie an Erziehung interessiert,<br />

er selbst aber an den Kin<strong>der</strong>n. Neill wollte es unter allen Umständen<br />

306 vermeiden, zu objektiven <strong>Wer</strong>ten (etwa einer vorgegebenen Kultur)<br />

hin zu erziehen.<br />

Neill for<strong>der</strong>te Freiheit für alle und also auch ein Privatleben für Erzieher<br />

ein. Die Kin<strong>der</strong> sollten begreifen, daß Lehrer keine Führer zu vorgegebenen,<br />

richtigen Idealen und zu gutem Benehmen, keine idealen gottähnlichen Vorbil<strong>der</strong><br />

sind. An<strong>der</strong>erseits wollte er auch die Kin<strong>der</strong> ihr eigenes Leben nach ihren<br />

eigenen Idealen leben lassen. Sein unordentliches Zimmer sowie Biertrinken<br />

und Pfeiferauchen im Schulheim wurden zu Prinzipienfragen 307 . Neill<br />

bestand darauf, daß ein Lehrer, <strong>der</strong> Bier mag, es öffentlich trinken darf und<br />

soll, und daß alles an<strong>der</strong>e eine dumme Lüge sei. Die Kin<strong>der</strong> dürften ihr eigenes<br />

Leben leben, und die Erwachsenen müßten es ebenso dürfen!<br />

Neill sah den Wan<strong>der</strong>vögelism als eine primär negative Protestbewegung<br />

und Rebellion gegen altes Preußentum, Militarismus und Autorität, als eine<br />

eher destruktive Vaterkomplexbewegung, die rückwärtsgewandt auf vergangene<br />

goldene Zeitalter schaute, mit pathetischem Ernst kindische alte Tanz-<br />

306 Seine (später zu recht kritisierte) Weigerung, Kin<strong>der</strong> zum Lernen zu motivieren, läßt sich<br />

auch begreifen als Gegenentwurf zu <strong>der</strong> in Deutschland erlebten, durch metaphysische<br />

Vorgaben überfrachteten mo<strong>der</strong>nen Pädagogik.<br />

307 „Der Lehrer hatte ein Vorbild zu sein. Einige unserer Lehrer rauchten, aber wenn ein<br />

Kind in <strong>der</strong> Nähe war, versteckten sie ihre Zigaretten o<strong>der</strong> Pfeifen. Ein Lehrer lehnte es<br />

ab, ins Kino zu gehen - das wäre ein schlechtes Beispiel für seine Schüler. Die Lehrer<br />

hatten einen Arbeitsfimmel.“ (Neill 1970b: 14)<br />

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