Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Neills eigenwillige Verwendung des Begriffs Christentum ist gelegentlich
mißverstanden worden. So erklärt Hans Hartmut Karg (1983) Neill zum
christlichen Erzieher 234 mit christlichem Normen- und Gedankengut (in
landläufiger, nicht in Neills Bedeutung!) und relativiert Neills Atheismus zur
bloßen Bezeichnung, mit der Neill seine Erziehung vor religiöser Vereinnahmung
schützten wolle. Karg bestreitet auch jede Radikalkritik im Sinne anarchistischen
oder revolutionären Denkens.
234 „Es wäre jedoch falsch, wenn man Neill Radikalkritik im Sinne anarchistischen oder revolutionären
Denkens unterstellen würde, weil sein Freiheitsbegriff im Grunde an christlichem
Normen- und Gedankengut orientiert blieb. Zunächst stellte er bestimmte Pädagogen
noch in eine Reihe mit Jesus Christus, als er mit jugendlichem Eifer ins Schwärmen
geriet:
‚Der einzige Weg, um Liebe zu lehren, bedeutet Fröbel, Montessori, Freud und Jung; aber
lesen Sie und lesen sie immer wieder über das Leben Jesu Christi.‘
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Erziehung als Handeln in und mit Liebe darzustellen, das war nicht neu. Neill unterschied
sich jedoch im Vergleich mit traditionellen Religionspädagogen und mit einer suchenden,
sich auf religiöse Normen berufenden Erziehung ** durch die Suche nach einer
Synthese aus Psychologie und Pädagogik, wobei die Psychologie Freuds die Dominanz
gewinnen sollte, weil sie religiöse Normsetzung gerade kritisiert. Er sollte sich bald als
Atheist bezeichnen, weil er die Versklavung der Erziehung durch die Religion entgehen
wollte, aber er berief sich in seinem Erzieherhandeln ausdrücklich auf Jesus Christus
*** .“ (Karg 1983: 26 f.)
Die Stelle enthält 3 Anmerkungen (S. 279):
* (67) Neill, zitiert in Hemmings 1972: 35, von Karg übersetzt
**(68) „Kalvinistische Geistliche in Südafrika schlagen die ihnen anvertrauten Kinder,
genauso wie katholische Priester, Wir in Summerhill geben den Kindern Anerkennung
und Liebe.“ Neill, Theorie und Praxis: 334
***(69) „Wie naiv Neill in den Jahren nach der Oktoberrevolution dem Kommunismus
anhing und ihn als christliche (!) Fortsetzung verstand, davon zeugt eine Passage in seinem
Buch ‚The Problem Parent‘, London, 1932, S. 187: ‚When a Russian village turns
its church into a cinema or a reading room it is doing what Jesus Christ would have approved
of and applauded.“ (Karg 1983: 279; (!) dort)
„Neill, Neill, Birnenstiel, S. 164. Neill kann jedoch nicht als antichristlicher Erzieher angesehen
werden, wie auch seine Schulinspektoren betonen (Theorie und Praxis, S. 91). Er
verwirklichte Grundsätze der Nächstenliebe und der Hilfsbereitschaft und ist damit ein
christlich handelnder Erzieher (Theorie und Praxis, S. 334). Er wehrt sich im Grunde genommen
nur gegen die Indoktrination und die angstauslösenden Lehren der kalvinistischen
Religion und gegen die institutionelle Macht der katholischen Religion und der
kommunistischen Staats- bzw. Gesellschaftsidee.“ (Karg 1983: 299 Anm. 151)
Die genannten Schulinspektoren unterschieben Neill allerdings keinerlei Religion, sondern
betonen die völlige Religionsfreiheit (keinerlei antireligiöser Druck) in Summerhill,
und daß viele Züge der Schule auch der christlichen Lehre entsprächen.