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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Möglichkeiten mehr, auf politischem Wege für seine Überzeugungen zu arbeiten,<br />

d. h. durch Politik grundlegende (!!) gesellschaftliche Än<strong>der</strong>ungen zu<br />

erwirken. Er glaubte nicht an Än<strong>der</strong>ungen durch eine Demokratie „<strong>der</strong> schon<br />

in <strong>der</strong> Wiege kastrierten Massen“ (Neill 1982: 246)<br />

Solange das Erziehungswesen so grundfalsch organisiert war, daß Kin<strong>der</strong> in<br />

staatlichen Pflicht-Schulen (weit über Neills Tod hin<strong>aus</strong>) mit staatlich gelieferten<br />

Rohrstöcken zu Lernleistungen geprügelt wurden, solange waren auch<br />

die Einzelheiten dieser grundfalschen Erziehung und Erziehungspolitik für<br />

Neill uninteressant 230 .<br />

Versteht man unter Politik aber auch langfristige politische Ziele, so hat<br />

Neills Erziehung durch<strong>aus</strong> mit Politik zu tun. Neill war nicht unpolitisch im<br />

Sinne von uninteressiert, son<strong>der</strong>n politisch so entschieden radikal eingestellt,<br />

daß er in <strong>der</strong> Politik keinen gangbaren Weg zu einer wirklich radikalen<br />

Gesellschaftsän<strong>der</strong>ung mehr sah.<br />

230 „Da die Politik sich nicht mit den schreienden Ungerechtigkeiten befaßt, kann ich keine<br />

Begeisterung für sie entwickeln. In den Schulen werden Kin<strong>der</strong> geschlagen, und die Politiker<br />

machen die Augen zu, auch wenn sie es mißbilligen. Die Politik befaßt sich mit<br />

materiellen Dingen - mit <strong>der</strong> Wirtschaft, dem Bau von Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern.<br />

Sie beschäftigt sich nicht mit den Menschen als menschliche Wesen. Die<br />

Regierung baut zum Beispiel eine neue Schule mit allen mo<strong>der</strong>nen Einrichtungen und<br />

überlässt sie dann irgendeinem Direktor, <strong>der</strong> sie möglicherweise mit dem Rohrstock leitet,<br />

falls er zu dieser Sorte von Verbrechern gehört. Wenn Eltern sich darüber beschweren,<br />

daß ihre Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Schule geschlagen werden, steht die Schulbehörde in den<br />

meisten Fällen auf <strong>der</strong> Seite des prügelnden Lehrers.<br />

Ich gab die Politik auf, weil sie den Dingen nicht auf den Grund geht. Denn selbst in einer<br />

sozialistischen Regierung wird die Politik vom Establishment bestimmt, von den<br />

Verteidigern des Status quo.“ (Neill 1982: 260)<br />

„Die Hauptfunktion unserer Schulen besteht darin, die Lebenskraft <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> abzutöten.<br />

Denn wäre das nicht so, würde das Establishment seine Macht verlieren. Würden Millionen<br />

freier Menschen zulassen, daß sie für Dinge geopfert werden, die sie nicht interessieren<br />

und die sie nicht verstehen? Wie viele GI's in Vietnam könnten heute sagen, worum<br />

es in dem Krieg überhaupt geht? Wenn die Millionen in <strong>der</strong> Kindheit nicht kastriert würden,<br />

würden dann Millionen für kümmerliche Löhne arbeiten, während ihre Arbeitgeber<br />

den Wochenlohn eines Arbeiters für ein Mittagessen <strong>aus</strong>geben o<strong>der</strong> mit Wagen für 10000<br />

Pfund protzen? Nie<strong>der</strong> mit dem Kapitalismus! Laßt die Arbeiter die Kontrolle übernehmen!<br />

In Rußland taten sie es. Utopia war Wirklichkeit geworden. Eine Welt ohne Profit<br />

und Klassen. Das war 1917. Heute, 1972, sind die Arbeiter Schafe, die von gar nicht so<br />

freundlichen Schäfern geführt werden.“ ... „Ist die Zukunft <strong>der</strong> Menschen eine Welt von<br />

Sklaven, die von einer Elite mächtiger Herrscher gelenkt werden?<br />

Aber ich bin doch auch etwas optimistischer. In den fünfzig Jahren des Umgangs mit<br />

freien Kin<strong>der</strong>n habe ich nicht nur das Fehlen jeglichen Wettbewerbsdenkens beobachtet,<br />

son<strong>der</strong>n auch eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber ‚Führern‘. Man kann mit freien<br />

Kin<strong>der</strong>n vernünftig reden, aber man kann sie nicht führen. Gewiß, meine Schüler leben in<br />

ihrer eigenen Herde, aber ohne Führung.“ (Neill 1982: 262)<br />

Politik trägt nicht dazu bei „jene repressive Institution zu än<strong>der</strong>n, die wir Erziehung nennen.<br />

Sie tut eher das Gegenteil. Sie programmiert Kin<strong>der</strong> so, daß sie den jeweils herrschenden<br />

Mächten <strong>der</strong> politischen und wirtschaftlichen Bosse folgen.“ (Neill 1970d: 25).<br />

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