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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Die Familie war viel mehr als eine bloße Wirtschafts- und Wohngruppe.<br />

Sie formte ihre Mitglie<strong>der</strong>, und das Fehlverhalten eines Mitgliedes konnte sie<br />

ruinieren. Die Familie war ein Kreis von Vertrauten, die die gegenseitigen<br />

Stärken und Schwächen gut kannten und füreinan<strong>der</strong> sorgten. Die Familie<br />

schützte ihre Schwachen, spornte ihre Drückeberger an und billigte o<strong>der</strong><br />

mißbilligte offen das Betragen und die Kleidung ihrer Mitglie<strong>der</strong>. Es kam<br />

durch<strong>aus</strong> vor, daß sie einem notorisch zerlumpten Familienmitglied gegen<br />

dessen Willen auf gemeinsame Kosten ein neues Kleidungsstück kaufte. So<br />

wurde die Loyalität zum Familienmitglied einerseits und zu den Ethik- und<br />

Betragensstandards <strong>der</strong> gesamten Gemeinschaft an<strong>der</strong>erseits kombiniert.<br />

Es gab auch Beispiele äußerster Großzügigkeit in <strong>der</strong> Familie: So hatte<br />

z. B. ein Junge es nach langen Eingewöhnungsschwierigkeiten geschafft,<br />

durch harte Arbeit und langes eisernes Sparen das Geld für einen Anzug zusammenzubekommen,<br />

den er nun stolz trug. Im Gedenken an die eigenen<br />

Eingewöhnungsschwierigkeiten gab er den Anzug mit Verlust zurück, um mit<br />

dem Geld den fehlenden Wochenbeitrag eines <strong>nichts</strong>nutzigen arbeitsscheuen<br />

Neuankömmlings zu bezahlen und <strong>der</strong> Familie so die Zahlungsunfähigkeit<br />

und die Umwandlung in ein Reformatory-H<strong>aus</strong> zu ersparen.<br />

In <strong>der</strong> Familie kannte man einan<strong>der</strong>. Hier mußte niemand befürchten, sein<br />

Gesicht zu verlieren. Man sagte hier spontan, offen und frei seine Meinung,<br />

konnte einan<strong>der</strong> offen und direkt kritisieren und ebenso offen Freundlichkeiten<br />

<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen. Die ungehemmt offene und freie Meinungsäußerung war ein<br />

wichtiger und notwendiger Faktor für die starke und sensible öffentliche Meinung.<br />

Auf <strong>der</strong> sicheren Grundlage von gegenseitiger Zuneigung und Respekt war<br />

<strong>der</strong> Umgangston nicht immer höflich, son<strong>der</strong>n oft sehr direkt, rauh, <strong>der</strong>b und<br />

tumultartig, auch mit den Erwachsenen. Die Helfer konnten nicht einfach Gehorsam<br />

for<strong>der</strong>n und freundlich, aber bestimmt befehlen und Strafen androhen.<br />

Statt höflich zu verbieten, sagten sie eher etwas wie: „Verdammter Narr, was<br />

du vorhast hat doch die und die Folgen, sei kein blö<strong>der</strong> Arsch!“ Manche Besucher<br />

kritisierten diesen oft barschen Umgangston als lieblos.<br />

Die Kritik war übrigens kein Verbot. Lane wollte (fast) alle Verhaltensexperimente<br />

ermutigen und unwilligen Gehorsam und Rebellion dagegen vermeiden.<br />

Wenn <strong>der</strong> Jugendliche also tat, was er vorhatte, mußte er die Handlungsfolgen<br />

tragen, wurde aber nicht wegen Ungehorsam kritisiert. Er sollte<br />

und würde die realen Tatsachen und Ursache-Wirkungs-Beziehungen akzeptieren<br />

lernen, und ebendies würde sein Vertrauen (nicht: Gehorsam!) zum<br />

Helfer, <strong>der</strong> ihn gewarnt hatte, erhalten und stärken.<br />

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