Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

12.3. Wandel der Ansichten in Buffalo 1912/13
Im März 1912 ging Lane für etwa ein Jahr allein als Bau- oder Dockarbeiter,
später Vorarbeiter, nach Buffalo, während seine Frau im entfernten Ann Arbor
eine Pension betrieb. In diesem Jahr zog er offenbar die Bilanz seiner
bisherigen Arbeit und Methoden und veränderte sich sehr. Während dieser
Zeit reiste er auch zu Vorträgen nach England.
Neben weiteren Werken von Montessori las er in Buffalo höchstwahrscheinlich
auch Pestalozzis Schriften, insbesondere den Brief über die Arbeit
in Stans. Erst seitdem sprach er ebenso wie Pestalozzi vom bessernden und
erneuernden Einfluß der Liebe als Kern seiner Arbeit, sowie von der verkümmernden
Wirkung von Haß, Verdammung und Strafe.
Noch in den USA lernte Lane anscheinend auch die Theorien Freuds kennen.
Mehr oder weniger abgewandelt wurden sie zur Grundlage seiner psychoanalytischen
Pädagogik (vgl. Kapitel 6 und 7).
Was er bisher eher intuitiv gefühlt hatte, wurde nun zum bewußten und
theoretisch untermauerten Glauben an die Notwendigkeit der Liebe zu therapeutischen
und pädagogischen Zwecken. Seine Ansichten waren nun stimmiger
und auf eine einheitliche Philosophie gegründet.
Damit wurde die bisher politisch-wirtschaftliche Selbstregierung der Republik
als eine eher zweitrangige Komponente eingegliedert in ein umfassendes
und für Erziehungsheime angemesseneres pädagogisch-psychologisches
Konzept.
Jetzt ging es primär nicht mehr um die Nachbildung des Staatsapparates
und des Wirtschaftssystems, sondern um psychische Gesundheit und das
Prinzip der Selbstregulierung aller Menschen von Geburt an, um die von inneren
Antrieben gesteuerte körperliche, geistige und psychische Selbstentfaltung,
d. h. um Wachstum.
Die Organisationsformen blieben weitgehend staatsartig. Das wesentliche
Vorbild Lanes waren aber nicht Staat, Stadt oder Dorf, sondern die sehr
persönlichen affektiven zwischenmenschlichen Beziehungen in intakten
Familien.
In den Familien seiner nächsten Republik in England förderte Lane gezielt
solche affektiven Beziehungen zwischen den Jugendlichen untereinander
und zu den erwachsenen Helfern. Die Trennung zwischen Jugendlichen und
Helfern nahm weiter ab, die (wenigen) Helfer nahmen gleichberechtigt an der
Selbstregierung teil. Man begegnete einander nicht neutral, sachlich und distanziert
als Mitbürger einer Stadt, sondern eher als Familienmitglieder, mit
Daddy Lane als Vaterfigur.
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