Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Daneben waren vor allem Georg Kerschensteiners Bestrebungen zur
Staatsbürgerlichen Bildung von Bedeutung.
Die deutsche Schülermitverwaltung stützte sich hauptsächlich auf zwei
Vorbilder: die amerikanische School City und die britische Public School.
Dabei ging es eindeutig nicht um Demokratie und Selbstbestimmung, sondern
um Selbsttätigkeit und Helfersysteme, um die Stärkung von Lehrerautorität,
Pflicht, Sitte, Schulzucht, freiwilligem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit
und um Moralerziehung. Übrigens auch in England (dazu Hemmings
1972) und der republikanischen Schweiz (vgl. Hepp 1911). Die deutschen
Mitverwaltungssysteme sollten ebenso auf die deutsche autoritär-hierarchisch-monarchische
Gesellschaft vorbereiten wie die amerikanische Selbstregierung
auf die amerikanische Republik. Insofern ist die begriffliche Reduzierung
in Deutschland von Selbstregierung auf Selbstverwaltung durchaus Programm:
der demokratische Anspruch von Selbst-Gesetzgebung und Selbst-
Rechtsprechung wurde fallengelassen, übrig bleibt die bloße Administration,
die auch von Untertanen geleistet werden kann. Die führenden deutschen
Selbstverwaltungs-Befürworter waren ganz selbstverständlich Monarchisten,
noch herrschten die Kaiser- und Königsdynastien unangefochten, und der Zusammenhang
von Schulform und Staatsform wurde durchaus beachtet und
auch thematisiert. Die Orientierung an den englischen Public Schools mit ihrer
ausgeprägten christlichen Moralerziehung und dem Präfektensystem, bei
dem von den Lehrern ernannte ältere Schüler als Helfer und Ordner fungieren,
ist dabei einsichtig und äußerst passend.
Demokratische Aspekte wurden nur von Autoren mit deutlich sozialistischer
Ausrichtung betont (A. S. Neill, Wyneken, Bernfeld, Löwenstein). Die
demokratisch-republikanische parlamentarische Ausrichtung oder zumindest
Rhetorik der amerikanischen School City (z. B. in Fingerle 1948), die Betonung
des aktiven Teilhabens an der Regierung, der Selbstbestimmungsrechte
der Kinder, und der Wachsamkeit gegenüber den Übergriffen von Regierung
und Verwaltung entfielen bei der Übernahme in Deutschland meist ebenso
wie die Vorstellung von der eigenständigen Regelung und Entscheidung der
eigenen Angelegenheiten. Die in Amerika erwünschten heißen politischen
Richtungskämpfe (in denen man Fairness erlernen kann) wurden hier eher gefürchtet
und nach Möglichkeit verhindert. Ganz im Gegensatz zur demokratischen
Komponente wurde die starke moralpädagogische Komponente der
School City in Deutschland durchaus rezipiert, und darauf spezialisierte Modelle
wie die Lagrange City in Toledo, Ohio wurden besonders lobend hervorgehoben.
Kurz nach der Novemberrevolution 1918 und der Errichtung der deutschen
Republik wurde die Schülermitverwaltung offiziell durch Ministererlass eingeführt.
Wegen der nun demokratischen Auffassung und Begrün-
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