Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

Der aus einem Konsul, zwölf Senatoren und zwei Zensoren gebildete Gerichtshof
verfuhr nach altrömischem Vorbild sehr förmlich. Es wurde wie
auch sonst in der Schule ausschließlich Latein gesprochen. Die bereits
schriftlich zugestellte Anklageschrift wurde vom Ankläger verlesen, der Beklagte
hielt daraufhin seine Verteidigungsrede. Das Gericht fällte in namentlicher
Abstimmung den Schuldspruch oder Freispruch, der Konsul verkündete
das Urteil, und der Diktator vollstreckte es. Bestraft wurde mit Rutenstreichen,
Karzer, Tragen der Halsgeige, Schlafen und Essen auf dem Fußboden
sowie dem Umhängen eines gemalten Esels (Rein 1909: 235).
Getreu der Auffassung, daß guter Stil für guten Charakter spricht und wirre
Reden auf Tücke schließen lassen, beeinflußte die sprachliche Qualität der
Verteidigungsrede das Urteil mindestens ebenso stark wie die Schwere des
Vergehens. Ein gewandter Lateinredner konnte trotz Schuld sogar mit einer
Belobigung aus dem Prozeß hervorgehen.
Das Nachstellen berühmter römischer Gerichtsverhandlungen mit verteilten
Rollen war damals als Stilübung durchaus üblich und wurde auch bei Trotzendorf
gepflegt. Ebenso wurden alle Anlässe aufgegriffen für antike Zeremonien,
Schauspiele und viele lateinische Festreden und Lobreden auf verdiente
Schüler. Das Schulgericht war dabei - nach Anhörung der Tribunen
und Zensoren - Preisrichter der rhetorischen Wettkämpfe. Ein Liktor überreichte
schließlich den Siegerkranz.
Vordringlicher Zweck des Schülergerichts in diesem ersten Heim-Schul-
Staat war es, Anschauungsunterricht in römischem Recht und Gerichtsverfahren
sowie einen Anlaß für lateinische Reden zu bieten (learning by doing).
Zusätzlich diente es zur Erhaltung der Disziplin und der Verwaltungserleichterung,
kaum aber der Charaktererziehung oder der demokratischen
Selbstregierung.
Als Alter und Krankheit den Diktator behinderten, verfiel die Disziplin des
von ihm persönlich regierten Schulstaates. Seine Nachfolger in Goldberg kamen
mit dem System nicht gut zurecht.
9.1.2. Nachfolger Trotzendorfs
Als einer der berühmtesten und einflußreichsten Schulleiter seines Jahrhunderts
fand Trotzendorf viele direkte Nachfolger. In Görlitz, Brieg und
Beuthen entstanden ähnliche Schulrepubliken. In Brieg konnten Schüler auch
gegeneinander klagen. Johannes Honterus (1498 - 1549), der Reformator Siebenbürgens,
führte vergleichbare Schulrepubliken in Kronstadt und Hermannstadt
ein.
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