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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Neill äußerte auch selbst, daß er stark intuitiv vorging. Nach Ausführungen, daß Vorurteile<br />

nicht auf Fakten, son<strong>der</strong>n Gefühlsurteilen beruhen, fährt Neill fort:<br />

„Nein, es geht nicht allein darum, zu wissen; es geht darum, zu fühlen, und alle akademischen<br />

Titel <strong>der</strong> Welt können einem nicht helfen, etwas zu fühlen. Ideal wäre es, gleichzeitig<br />

zu wissen und zu fühlen. In meinem Fall sind es nicht meine psychologischen<br />

Kenntnisse, was mir erlaubt, einem Kind zu helfen; es ist meine Fähigkeit, selbst wie<strong>der</strong><br />

Kind zu sein und seinen Standpunkt zu sehen. ‚Genie- das ist die Gabe, wie<strong>der</strong> ein Junge<br />

zu sein, wenn man will‘, sagte Barrie. Nicht Genie - das kann alles bedeuten -, son<strong>der</strong>n<br />

einfach Fähigkeit, Talent, wenn man so will.<br />

So kommt es, daß ich meine Fülle an Unwissenheit nicht bedaure. Ich weiß genug, um<br />

meinen Beruf <strong>aus</strong>üben zu können.“ (Neill 1982: 244)<br />

Die in <strong>der</strong> Schule gelehrten Dinge seien dagegen meist solche, die im Leben nicht so<br />

wichtig sind.<br />

Claßen (1978: 667) mißversteht Neills (1969: 307) Ausdruck, <strong>der</strong> Erwachsene müsse<br />

beim Spiel mit Kin<strong>der</strong>n selbst ein Kind werden, nimmt die Bezeichnung allzu wörtlich<br />

und sieht dann darin die völlige Selbstaufgabe des Erziehers.<br />

„Ich glaube, ich hatte mehr Erfolg mit einer Psychologie, wie sie nicht in Lehrbüchern<br />

steht. Als ich einen stehlenden Schüler belohnte, indem ich ihm für jeden Diebstahl einen<br />

Shilling gab, handelte ich nicht nach irgendeiner Theorie - die Theorie kam später und<br />

mag, wenn nicht falsch, so doch unzulänglich gewesen sein. Dem Dieb fehlte es an Liebe,<br />

und so stahl er sich symbolisch Liebe. Ich gab ihm ein Stück Liebe in Gestalt einer<br />

Münze. Entscheidend ist, daß die Methode immer wie<strong>der</strong> funktionierte, aber ich weiß,<br />

die Situation ist kompliziert.“ (Neill 1982: 264 f.)<br />

„Als ein neuer Schüler Fensterscheiben einschmiß und ich mich dazustellte und mitmachte,<br />

hatte ich mir das nicht vorher überlegt. Die Erklärung kam später: Bill schmiß nicht<br />

einfach Fensterscheiben ein, er protestierte gegen die Autorität <strong>der</strong> Erwachsenen, und als<br />

ich dabei mitmachte, brachte ihn das in Verlegenheit ... Ein Erwachsener, <strong>der</strong> Fenster<br />

einschmeißt? Rückblickend finde ich, es war ein bißchen unfair, ihm den Spaß zu ver<strong>der</strong>ben.<br />

Die simple Erklärung <strong>der</strong> von mir angewandten Methode mag die sein, daß ich<br />

zunächst oft das falsche vorhatte, dann aber genau das Gegenteil davon tat. Stehlen, das<br />

bedeutet in konventionellen Schulen Rohrstock o<strong>der</strong> zumindest eine hochmoralische<br />

Strafpredigt. Ich reagierte auf eine nicht-moralische Art. Ein Junge war von drei Schulen<br />

durchgebrannt. Bei seiner Ankunft sagte ich zu ihm: ‚Hier ist deine Rückfahrkarte. Ich<br />

lege sie auf das Kaminsims; wenn du abhauen willst, komm zu mir und hol sie dir.‘ Er ist<br />

nie von Summerhill weggelaufen, aber lag das an meiner Haltung ihm gegenüber o<strong>der</strong> an<br />

<strong>der</strong> Freude, die er daran hatte, zum erstenmal in seinem Leben frei zu sein?“ (Neill 1982:<br />

265; ... dort).<br />

... „ich versuche, praktische Lösungen zu finden. Mehr als einmal habe ich zugegeben,<br />

daß ich kein Intellektueller, kein großer Denker bin. Wenn ich nach einem Grund für etwas,<br />

das ich getan habe, forsche, gebe ich mit großer Wahrscheinlichkeit den falschen an.<br />

Als die Kin<strong>der</strong> sich beklagten, daß Naomi stinke, und ich ihr sagte, ihr Gesicht sei wirklich<br />

zu sauber, stieg sie in die Badewanne; aber auch heute, vierzig Jahre später, habe ich<br />

keine Ahnung, warum ich so handelte o<strong>der</strong> warum sie auf meine Kritik so reagierte. Intuition?<br />

Aber was ist das schon?“ (Neill 1982: 257).<br />

Lanes Biograph Wills (1964a: 139) betonte ganz nachdrücklich, daß auch Lanes bedeutendste<br />

Fähigkeit sein rasches intuitives Verstehen an<strong>der</strong>er Menschen sowie seine Fähigkeit<br />

war, in ihnen ein warmes Gefühl <strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung und Zuneigung zu erwecken.<br />

David Wills verfügte (im Gegensatz zu Lane und Neill) über eine fundierte Spezial<strong>aus</strong>bildung<br />

als psychiatric social worker, was man seinen Büchern durch<strong>aus</strong> anmerkt. Doch<br />

auch er gewann Bedeutung als Praktiker, nicht als Theoretiker.<br />

Neill (1982: 169, 172) bezeichnete Lane als Phantasten, als Flunkerer, <strong>der</strong> unwahre Geschichten<br />

erzählte, und nie richtig erwachsen wurde, aber auch als „ein Genie <strong>der</strong> Intuition,<br />

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