Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

ster Verkleidung in unerklärlichen, willentlich kaum mehr verhinderbaren
Handlungen Luft.
Das so durch beherrschende Erziehung (Gewalt, mangelnde Liebe, verweigerte
Bedürfnisbefriedigung oder Mißhandlung anderer Art) verdorbene,
unglücklich, schwierig und neurotisch gewordene Kind bedarf der psychologischen
Behandlung, der Umerziehung oder Rück-Erziehung. Es gilt also,
den Prozeß umzudrehen. Durch Beseitigung der neurotisierenden Zwänge
sollen die (ja noch vorhandenen) ursprünglichen natürlichen Bedürfnisse und
Fähigkeiten wieder hervorgelockt und das Kind dadurch wieder befähigt werden,
interessiert und furchtlos aus eigenem Antrieb zu lernen, statt nur belehrt
zu werden.
Ziel ist gewissermaßen eine Ent-Erziehung, eine Aufhebung der früheren
Fehl-Erziehung und die Bereitstellung eines geeigneten Raumes, in dem die
nachzuholenden Erfahrungen gemacht werden können (Erfahrungslernen)
sowie einer Gruppe (mit Ersatzeltern), der man zugehören und an der man
sich orientieren kann (Vorbildpädagogik 120 ), und der Austausch der Handlungsmotive:
Furcht gegen Interesse. Dies kann schwerlich mit weiterer Gewalt
geschehen, sondern nur durch völligen Verzicht auf Gewalt, durch gewaltfreie
Erziehung:
Kein Zwang, keine Verbote, auch keine Moralstandards, ästhetische Forderungen,
vorgeschriebene Berufsausbildung, Allgemeinbildungsstandards oder
religiöser Zwang, sondern völlige Freiheit - die allerdings an der Freiheit des
Anderen und auch an vernünftigen Sicherheitsmaßnahmen ihre Grenze finden
muß (also doch einige Verbote!). Damit muß (geradezu überdeutlichdemonstrativ)
die kontinuierliche liebende Zuwendung, die un-bedingte Befriedigung
der Bedürfnisse einhergehen.
Die Grenzen der individuellen Freiheiten müssen (insbesondere im Konfliktfall)
abgesteckt werden, Sicherheitsmaßregeln ebenfalls, und in einer
Gemeinschaft müssen aus praktischen Gründen auch diverse andere Absprachen
und Vereinbarungen getroffen werden. Diese Regeln (mit Ausnahme der
unstrittig lebensnotwendigen) werden nicht von Erwachsenen erlassen, sondern
nach gemeinsamer Beratung gemeinsam beschlossen.
Neills Erziehungs-Ziele (wenn man sie denn so nennen will) erscheinen
naturgegeben und sind deshalb recht vage: Natürlichkeit, Gesundheit, Glück,
Selbstregulierung. Darüberhinaus sind hier formulierte Erziehungsziele
kaum möglich, da hier keine Pädagogik zu definierten Zielen hin betrieben
wird. Trotzdem ist dies eindeutig kein Konzept des reinen
120 Infolge der Gleichberechtigung von Erwachsenen und Kindern kann Verhalten hier viel
unmittelbarer abgeschaut werden als in Verhältnissen, in denen Erwachsenen- und Kinderrollen
nicht gleich, sondern komplementär sind. Hinzu kommt Erziehung mit Hilfe
von Übertragungsbeziehungen.
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