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Johannes-Martin Kamp Kinderrepubliken - Wer nichts aus der ...

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Sie ist oft <strong>der</strong> Versuch, <strong>aus</strong> Furcht um die eigene Popularität und Beliebtheit<br />

die Zuneigung mit Belohnung zu erkaufen. Jede (!) Belohnung aber untergräbt<br />

die Moral des Kindes, ist eine Bestechung dafür, gegen die eigenen<br />

Gefühle und Überzeugungen zu handeln. Der Hintergrund eines solchen Handelns<br />

mag sein, daß <strong>der</strong> Erzieher sich selbst nicht für liebenswert hält o<strong>der</strong><br />

aber dem Kind sein eigenes Leben aufgeopfert hat und es nun als Verlängerung<br />

<strong>der</strong> eigenen Person und nicht als selbständigen Menschen betrachtet.<br />

Neill verwendet allerdings zentrale Begriffe wie Gehorsam und Autorität<br />

unklar und wi<strong>der</strong>sprüchlich 114 , was die Gefahr von Mißverständnissen sehr<br />

erhöht.<br />

Neben dem eher abstrakten Erziehungskonzept wäre nun nach dem konkreten<br />

pädagogischen Handeln Neills zu fragen. Wie schon in Kapitel 4.5. gezeigt<br />

wurde, ist <strong>der</strong> Vorwurf des Laissez-faire-Erziehungsstils bei Neill<br />

falsch. Trotzdem erscheint mir <strong>der</strong> Vorwurf (obwohl falsch!) durch<strong>aus</strong> begreiflich,<br />

denn er hat einen sehr betrachtenswerten rationalen Kern: Es sieht<br />

(oberflächlich) tatsächlich so <strong>aus</strong>, als ob - z. B. - Neill in Summerhill päd-<br />

Schau stellen. Sie handeln damit ähnlich wie ein Mann, <strong>der</strong> seine Frau betrogen hat und<br />

ihr nun großzügig einen Pelzmantel schenkt, den er sich eigentlich gar nicht leisten<br />

kann.“ (Neill 1969: 280)<br />

114 Neill befürwortet Gehorsam und Autorität und lehnt zugleich beides ab, und gibt statt einer<br />

klaren Regel nur vage Beispiele zur Unterscheidung an. Er for<strong>der</strong>t / behauptet hintereinan<strong>der</strong>weg,<br />

Erwachsene und Kin<strong>der</strong> sollten einan<strong>der</strong> gegenseitig gehorchen (das ist<br />

nicht das, was man üblicherweise Gehorsam nennt!), in Summerhill gäbe es fast keinen<br />

Gehorsam und fast keine Autorität, doch Gehorsam sei manchmal doch wichtig und in<br />

<strong>der</strong> Praxis gebe es in Summerhill natürlich doch Autorität.<br />

„Denn Gehorsam sollte eine Frage von Geben und Nehmen sein. Gelegentlich kommt es<br />

vor, daß ein von <strong>der</strong> Schulversammlung erlassenes Gesetz nicht beachtet wird. Dann<br />

können die Kin<strong>der</strong> selbst etwas dagegen unternehmen. Im großen und ganzen existiert<br />

Summerhill jedoch ohne jede Autorität und ohne Gehorsam. Jedes Individuum hat die<br />

Freiheit, das zu tun, was es will, solange es die Freiheit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nicht beeinträchtigt.<br />

Und das ist ein Ziel, das in je<strong>der</strong> Gemeinschaft verwirklicht werden kann.<br />

Bei dem Prinzip <strong>der</strong> Selbstbestimmung gibt es keine Autorität in <strong>der</strong> Familie. Das heißt,<br />

es gibt keine laute Stimme, die ruft: ‚Ich sage das, und damit basta!‘ In <strong>der</strong> Praxis gibt es<br />

natürlich Autorität. Diese Art von Autorität kann man vielleicht Schutz, Fürsorge, Verantwortung<br />

<strong>der</strong> Erwachsenen nennen. Eine solche Autorität verlangt manchmal Gehorsam,<br />

doch bei an<strong>der</strong>en Gelegenheiten gehorcht sie auch. So kann ich zu meiner Tochter<br />

sagen: ‚Du kannst diesen Schmutz und das Wasser da nicht mit ins Wohnzimmer bringen!‘<br />

Das ist nicht mehr, als wenn sie zu mir sagt: ‚Geh hin<strong>aus</strong>, Papi. Ich mag nicht, dass<br />

du jetzt in meinem Zimmer bist!‘, ein Wunsch, dem ich natürlich ohne Wi<strong>der</strong>rede Folge<br />

leiste.“ (Neill 1969: 158)<br />

Hier ist neben <strong>der</strong> Übersetzung allerdings zu berücksichtigen, daß das Zitat <strong>aus</strong> Theorie<br />

und Praxis <strong>der</strong> antiautoritären Erziehung stammt, einem Buch, das z. T. Satz für Satz<br />

<strong>aus</strong> an<strong>der</strong>en Büchern kombiniert wurde. Möglicherweise sind die hier zitierten Sätze <strong>aus</strong><br />

mehreren Büchern unterschiedlicher Entstehungszeit zusammengefügt und nicht als<br />

fortlaufen<strong>der</strong> Text geschrieben worden. Ohne eine historisch-kritische Ausgabe von<br />

Theorie und Praxis (um von einer Neill-Gesamt<strong>aus</strong>gabe ganz zu schweigen), die zumindest<br />

die Herkunft des jeweiligen Satzes angibt, können solche Passagen schwerlich gewertet<br />

werden.<br />

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