Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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8 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE 14 These. Genau entgegengesetzt lautet die Argumentation des Sophisten Thrasymachos. Sie ist interessant, da sie einer +modernen*, ideologiekritischen Position nahe kommt: +[…] so weit bist du ab mit deinen Gedanken von der Gerechtigkeit […], daß du noch nicht weißt, daß die Gerechtigkeit […] des Stärkeren und Herrschenden Nutzen, des Gehorchenden und Dienenden aber eigener Schade […] Am allerleichtesten wirst du es erkennen, wenn du dich an die vollendetste Ungerechtigkeit hältst […] Dies aber ist die sogenannte Tyrannei, welche nicht im Kleinen sich fremdes Gut […] zueignet […], sondern insgesamt alles […] Auf diese Art, o Sokrates, ist die Ungerechtigkeit […] edler und vornehmer als die Gerechtigkeit, wenn man sie im großen treibt […]* (Ebd.; S. 73 [343a–344c]) Platon entkräftet diese Position nicht überzeugend und baut auf die automatische Identifizierung des Gerechten mit dem Guten (der letztendlich auch Thrasymachos erliegt). Aber wie verwirklicht sich nun die Gerechtigkeit im +platonischen* Idealstaat? – Gerechtigkeit, so Platons allgemeine Bestimmung, besteht darin, daß jedem das Seine zukommt. Das gilt auch im Staat. Der einzelne ist deshalb gemäß seinen individuellen Fähigkeiten (Platon lehnt also – und das ist durchaus +revolutionär* – das Geburtsprinzip ab) einem der drei Stände zuzuordnen: dem die Grundver- sorgung garantierenden Nährstand, dem die Sicherheit gewährleistenden Wehrstand und dem geistig sowie politisch führenden Lehrstand. Jeder dieser Stände muß, um seine Aufgabe erfüllen zu können, über bestimmte Tugenden verfügen: Für die Angehörigen des Nährstands genügt die Tugend der Mäßigung. Der Wehrstand muß zusätzlich über Tapferkeit bzw. Aufrichtigkeit verfügen. Im Lehrstand vereinigen sich Mäßigung, Aufrichtigkeit und Weisheit zur Gerechtigkeit. Deshalb werden aus seinen Reihen die alternierend regierenden +Philosophenkönige* gekürt. Was die Bereiche Kultur, Bildung und Religion betrifft, so sind diese ganz den staatlich-politischen Erfordernissen untergeordnet. Und um von vorne herein jeder sozialen Entzweiung vorzubeugen, fordert Platon eine Gütergemeinschaft sowie eine Frauen- und Kindergemeinschaft. Trotzdem sieht er, daß auch sein Idealstaat (da er von Menschen geformt wird) nicht für die Ewigkeit geschaffen ist. Die Aristokratie der Philosophenkönige geht durch den Verlust der Tugend und das Besitzstreben unweigerlich in eine Timokratie und Oligarchie über, die wiederum den Boden für die Demokratie bereitet. Damit ist der Schritt zur endgültigen Pervertierung der politischen Ordnung getan. Denn das Prinzip der Freiheit, für das die Demokratie steht, kennt kein Maß, untergräbt sich selbst und endet schließlich in der Tyrannis: +Die größte Freiheit führt in die größte Unfreiheit*. 15

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 9 Im seiner zweiten, schon durch den Titel erkennbar Politik-bezogenen Schrift, dem Dialog +Politikos* (Der Staatsmann), werden ähnliche Gedanken wie in der +Politeia* entwickelt, und es wird noch einmal herausgestrichen, daß nur die Weisheit der politischen Führung das allgemeine Wohl sichern kann. Eine Wende dieses Denkens wird dagegen in der Schrift +Nomoi* (Die Gesetze) vollzogen. Hier verarbeitet Platon die Erfahrungen, die er aus dem Scheitern des auf Sizilien unternommenen Umsetzungsversuchs seines in der +Politeia* ent- worfenen Idealstaats gewonnen hat. Jetzt plädiert selbst er für eine Herrschaft der Gesetze, läßt auch soziale Heterogenität zu und fordert eine Mischverfassung aus demokratischen und aristokratisch-monarchistischen Elementen, so daß Freiheit (als demokratisches Prinzip) und Weisheit (als aristokratisches Prinzip) sich verbinden können. Aristoteles (384–322 v. Chr.), Sohn eines Arztes am makedonischen Königshof, war der +Meister- schüler* Platons, welcher 385 v. Chr. eine philosophische Lehranstalt, die berühmte +Akademie*, gegründet hatte. Nach dessen Tod wurde trotzdem allerdings nicht Aristoteles zum Nachfolger 16 berufen – wohl, da seine Auffassungen zu stark von denen Platons abwichen. Letzeres gilt auch für sein politisches Denken: Im Wissenschaftssystem des Aristoteles nimmt die Politik den ersten Rang unter den praktischen Wissenschaften ein. Dies begründet er wie folgt: +Jedes praktische Können und […] ebenso alles Handeln […] strebt nach einem Gut […] Da es aber viele Formen des Handelns, des praktischen Könnens und des Wissens gibt, ergibt sich auch eine Vielzahl von Zielen […] Überall nun, wo solche ›Künste‹ einem bestimmten Bereich untergeordnet sind […], da ist durchweg das Ziel der übergeordneten Kunst höheren Ranges als das der untergeordneten: um des ersteren willen wird ja das letztere verfolgt.* (Nikomachische Ethik; S. 5 [1094a]) 17 Es muß aber gemäß Aristoteles ein erstes Gut geben. Welches dies ist, kann zunächst nicht gesagt werden. Allerdings läßt sich bestimmen, welchem Bereich es zuzuordnen ist: +Man wird zugeben müssen: es gehört in den Bereich der Kunst, welche dies im eigentlichsten und souveränsten Sinne ist. Als solche aber erweist sich die Staatskunst […] Wir sehen ja, wie ihr selbst die angesehensten ›Künste‹ untergeordnet sind, z.B. Kriegs-, Haushalts- und Redekunst.* (Ebd.; S. 6 [1094a]) Nachdem er so die Staatskunst aufgrund ihres umfassenden Charakters als erste praktische Wissenschaft bestimmt hat, stellt er sich endlich die Frage nach dem Wesen des von ihr ver- folgten und damit höchsten Zieles: Das erste Gut (telos) muß notwendig ein Gutes (agathon)

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 9<br />

Im se<strong>in</strong>er zweiten, schon durch den Titel erkennbar <strong>Politik</strong>-bezogenen Schrift, dem Dialog<br />

+<strong>Politik</strong>os* (Der Staatsmann), werden ähnliche Gedanken wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> +Politeia* entwickelt,<br />

und es wird noch e<strong>in</strong>mal herausgestrichen, daß nur die Weisheit <strong>der</strong> politischen Führung<br />

das allgeme<strong>in</strong>e Wohl sichern kann. E<strong>in</strong>e Wende dieses Denkens wird dagegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schrift<br />

+Nomoi* (Die Gesetze) vollzogen. Hier verarbeitet Platon die Erfahrungen, die er aus dem<br />

Scheitern des auf Sizilien unternommenen Umsetzungsversuchs se<strong>in</strong>es <strong>in</strong> <strong>der</strong> +Politeia* ent-<br />

worfenen Idealstaats gewonnen hat. Jetzt plädiert selbst er für e<strong>in</strong>e Herrschaft <strong>der</strong> Gesetze,<br />

läßt auch soziale Heterogenität zu und for<strong>der</strong>t e<strong>in</strong>e Mischverfassung aus demokratischen und<br />

aristokratisch-monarchistischen Elementen, so daß Freiheit (als demokratisches Pr<strong>in</strong>zip) und<br />

Weisheit (als aristokratisches Pr<strong>in</strong>zip) sich verb<strong>in</strong>den können.<br />

Aristoteles (384–322 v. Chr.), Sohn e<strong>in</strong>es Arztes am makedonischen Königshof, war <strong>der</strong> +Meister-<br />

schüler* Platons, welcher 385 v. Chr. e<strong>in</strong>e philosophische Lehranstalt, die berühmte +Akademie*,<br />

gegründet hatte. Nach dessen Tod wurde trotzdem allerd<strong>in</strong>gs nicht Aristoteles zum Nachfolger<br />

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berufen – wohl, da se<strong>in</strong>e Auffassungen zu stark von denen Platons abwichen. Letzeres gilt<br />

auch für se<strong>in</strong> politisches Denken: Im Wissenschaftssystem des Aristoteles nimmt die <strong>Politik</strong><br />

den ersten Rang unter den praktischen Wissenschaften e<strong>in</strong>. Dies begründet er wie folgt:<br />

+Jedes praktische Können und […] ebenso alles Handeln […] strebt nach e<strong>in</strong>em Gut […] Da es aber<br />

viele Formen des Handelns, des praktischen Könnens und des Wissens gibt, ergibt sich auch e<strong>in</strong>e<br />

Vielzahl von Zielen […] Überall nun, wo solche ›Künste‹ e<strong>in</strong>em bestimmten Bereich untergeordnet<br />

s<strong>in</strong>d […], da ist durchweg das Ziel <strong>der</strong> übergeordneten Kunst höheren Ranges als das <strong>der</strong> untergeordneten:<br />

um des ersteren willen wird ja das letztere verfolgt.* (Nikomachische Ethik; S. 5 [1094a]) 17<br />

Es muß aber gemäß Aristoteles e<strong>in</strong> erstes Gut geben. Welches dies ist, kann zunächst nicht<br />

gesagt werden. Allerd<strong>in</strong>gs läßt sich bestimmen, welchem Bereich es zuzuordnen ist:<br />

+Man wird zugeben müssen: es gehört <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> Kunst, welche dies im eigentlichsten und<br />

souveränsten S<strong>in</strong>ne ist. Als solche aber erweist sich die Staatskunst […] Wir sehen ja, wie ihr selbst<br />

die angesehensten ›Künste‹ untergeordnet s<strong>in</strong>d, z.B. Kriegs-, Haushalts- und Redekunst.* (Ebd.; S.<br />

6 [1094a])<br />

Nachdem er so die Staatskunst aufgrund ihres umfassenden Charakters als erste praktische<br />

Wissenschaft bestimmt hat, stellt er sich endlich die Frage nach dem Wesen des von ihr ver-<br />

folgten und damit höchsten Zieles: Das erste Gut (telos) muß notwendig e<strong>in</strong> Gutes (agathon)

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