Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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6 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE Demokratie eine Tendenz zu ihrer retrospektiven historischen Rückverlagerung beobachtbar (vgl. Bleicken: Die athenische Demokratie; S. 13f.). Zum anderen waren vielfältige Möglichkeiten zur gerichtlichen Klage gegeben. Eine schriftliche Fixierung der Gesetze existierte seit Solon. Eine geschriebene Verfassung war jedoch unbekannt. (Vgl. ebd.; S. 285–290) Soviel zu den Transformationen innerhalb der politischen Praxis. Diese Veränderungen korrespon- dierten mit einer Verschiebung in der Bedeutung zentraler Begriffe. Dazu Meier: +Soweit wir den Wandel in den wichtigsten Begriffen während des 5. Jahrhunderts [v. Chr.] beobachten können, scheint sich […] zu bestätigen: Verfassung, Recht, Macht, Gleichheit, Freiheit, Bürgerschaft werden als politische Probleme […] begriffen und eben dadurch und eben darin dem Handeln verfügbar.* (Die Entstehung des Politischen bei den Griechen; S. 311) Als besonders bedeutsam stellt Meier die Entwicklung vom Denken der Eunomie (der von den Göttern gesetzten, nach sozialem Rang abstufenden +rechten* Ordnung) zur gleicheits- und gerechtigkeitsbetonenden Isonomie dar (siehe S. 4), die zu einem neuen Bürgerbewußtsein führte. Dieses gründete auch auf der Auffassung, daß die menschliche Ordnung vom Menschen selbst gestaltet werden kann: +Es bildete sich eine politische Identität.* (Ebd.; S. 242) 11 Trotzdem kam es zum langsamen Niedergang der Demokratie in Athen. Nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) etablierte sich das Regime der +Dreißig Tyrannen*. Dieses konnte sich zwar nur kurz halten, und 403 v. Chr. wurde die Demokratie wiedererrichtet, ja sogar (durch eine Beschneidung der exekutiven und judikativen Kompetenzen sowie eine Ausdehnung des Los-Systems) erweitert. Es war jedoch in der Folge nicht nur ein allgemeines Nachlassen des politischen Interesses festzustellen, sondern die Autonomie der griechischen Poleis wurde durch das Eroberungsstreben der makedonischen Könige Philipp (359–336 v. Chr.) und Alexander (336–323 v. Chr.) erheblich eingeschränkt. Das faktische Ende der Demokratie in Athen kam dann im Jahr 322 v. Chr. mit dem endgültigen Sieg der Makedonier über die athenische Flotte. Alexanders Nachfahren ließen die Unabhängigkeit Athens und seine politischen Institutionen nach außen hin zwar unangetastet, aber es handelte nun erst recht um eine rein formale +Scheindemokratie*. Die lokalen Eliten gingen dabei zum eigenen Machterhalt eine Koalition mit den Eroberern ein, und ein verschärfter Zensus sorgte für den politischen Ausschluß des +gemeinen* Volks. (Vgl. Bleicken: Die athenische Demokratie; S. 365–372 sowie Mossé: Der Zerfall der athenischen Demokratie)

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 7 Ausgerechnet in die Zeit des beginnenden Niedergangs der Demokratie fallen die großen politischen Entwürfe Platons und Aristoteles’. Dies mag erklären, daß beide wenig von der Demokratie (in ihrer damaligen historischen Ausprägung) hielten. Bei Aristoteles ist die Demo- kratie gar zusammen mit Oligarchie und Tyrannis eine der drei +entarteten* Verfassungsformen (siehe S. 11). Doch zunächst zu Platon und seinem Politikbegriff: Platon (427–347 v. Chr.) stammte aus der Adelsschicht und war ein Schüler des Sokrates (ca. 470–399 v. Chr.), welchen er sehr verehrte. Letzerem kommt deshalb in seinen durchgängig dialogisch abgefaßten Schriften die Hauptrolle zu, und letztendlich ist es deshalb auch schwer zu unterscheiden, was nun im einzelnen die Position Platons und die des Sokrates darstellt. Besonders betroffen war Platon von der Hinrichtung des Lehrers im Jahr 399 v. Chr. nach der Wiedererrichtung der Demokratie. Schon vorher dem demokratischen Prinzip gegenüber skeptisch eingestellt und Hoffnungen auf das +Regime der Dreißig* setzend (die aber enttäuscht wurden), war er nun endgültig von der Schädlichkeit der Demokratie überzeugt. In einem seiner Hauptwerke, der +Apologie*, berichtet Platon von der eindrucksvollen aber fehlschlagenden Verteidigung des Sokrates, der ungerechtfertigterweise der Verführung der Jugend beschuldigt und zum Tod durch den +Giftbecher* verurteilt wurde. Im anschließenden Gespräch mit Kriton, der ihm die Flucht ermöglichen will, legt Sokrates die Gründe seiner Annahme des selbst zu vollziehenden Urteils dar. Aus den vorgebrachten Argumenten wird auch seine politische Auffassung deutlich. Sokrates identifiziert den Staat, die Polis und damit die politische Ordnung mit dem Gesetzlichen. Auch wenn ein Urteil im Einzelfall ungerecht erscheinen mag, so wäre doch die Hinwegsetzung über das Gesetz ein noch größeres Unrecht und würde +dem ganzen Staat den Untergang […] bereiten* (Kriton; S. 287 [50b]). 12 Da aber die gesetzliche Ordnung offensichtlich nicht einmal geeignet ist, den Gerechten vor 13 Unrecht zu bewahren, entwirft Platon in seiner Schrift vom Staat, der +Politeia*, die Utopie einer idealen Polis, die weniger vom +Geist der Gesetze* inspiriert ist, als auf den Mut, die Mäßigung und vor allem die Weisheit der sie konstituierenden Personen baut. Nicht zufällig beginnt der Text mit der Erörterung der Frage nach der Gerechtigkeit. Denn Politik ist für Platon untrennbar mit dem Problem der Gerechtigkeit verbunden. Gerechtigkeit wiederum ist der Ausdruck der Weisheit und des Guten schlechthin. Nur wer gerecht lebt, kann ein gutes Leben führen und Glückseligkeit (eudaimonia) erlangen: +Der Gerechte ist glückselig und der Ungerechte elend* (S. 103 [354a]), so seine durch den Mund des Sokrates dargelegte

6 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE<br />

Demokratie e<strong>in</strong>e Tendenz zu ihrer retrospektiven historischen Rückverlagerung beobachtbar<br />

(vgl. Bleicken: Die athenische Demokratie; S. 13f.). Zum an<strong>der</strong>en waren vielfältige Möglichkeiten<br />

zur gerichtlichen Klage gegeben. E<strong>in</strong>e schriftliche Fixierung <strong>der</strong> Gesetze existierte seit Solon.<br />

E<strong>in</strong>e geschriebene Verfassung war jedoch unbekannt. (Vgl. ebd.; S. 285–290)<br />

Soviel zu den Transformationen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> politischen Praxis. Diese Verän<strong>der</strong>ungen korrespon-<br />

dierten mit e<strong>in</strong>er Verschiebung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bedeutung zentraler Begriffe. Dazu Meier:<br />

+Soweit wir den Wandel <strong>in</strong> den wichtigsten Begriffen während des 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts [v. Chr.] beobachten<br />

können, sche<strong>in</strong>t sich […] zu bestätigen: Verfassung, Recht, Macht, Gleichheit, Freiheit, Bürgerschaft<br />

werden als politische Probleme […] begriffen und eben dadurch und eben dar<strong>in</strong> dem Handeln verfügbar.*<br />

(Die Entstehung des Politischen bei den Griechen; S. 311)<br />

Als beson<strong>der</strong>s bedeutsam stellt Meier die Entwicklung vom Denken <strong>der</strong> Eunomie (<strong>der</strong> von<br />

den Göttern gesetzten, nach sozialem Rang abstufenden +rechten* Ordnung) zur gleicheits-<br />

und gerechtigkeitsbetonenden Isonomie dar (siehe S. 4), die zu e<strong>in</strong>em neuen Bürgerbewußtse<strong>in</strong><br />

führte. Dieses gründete auch auf <strong>der</strong> Auffassung, daß die menschliche Ordnung vom Menschen<br />

selbst gestaltet werden kann: +Es bildete sich e<strong>in</strong>e politische Identität.* (Ebd.; S. 242) 11<br />

Trotzdem kam es zum langsamen Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Demokratie <strong>in</strong> Athen. Nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) etablierte sich das Regime <strong>der</strong> +Dreißig Tyrannen*.<br />

Dieses konnte sich zwar nur kurz halten, und 403 v. Chr. wurde die Demokratie wie<strong>der</strong>errichtet,<br />

ja sogar (durch e<strong>in</strong>e Beschneidung <strong>der</strong> exekutiven und judikativen Kompetenzen sowie e<strong>in</strong>e<br />

Ausdehnung des Los-Systems) erweitert. Es war jedoch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge nicht nur e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />

Nachlassen des politischen Interesses festzustellen, son<strong>der</strong>n die Autonomie <strong>der</strong> griechischen<br />

Poleis wurde durch das Eroberungsstreben <strong>der</strong> makedonischen Könige Philipp (359–336 v.<br />

Chr.) und Alexan<strong>der</strong> (336–323 v. Chr.) erheblich e<strong>in</strong>geschränkt. Das faktische Ende <strong>der</strong><br />

Demokratie <strong>in</strong> Athen kam dann im Jahr 322 v. Chr. mit dem endgültigen Sieg <strong>der</strong> Makedonier<br />

über die athenische Flotte. Alexan<strong>der</strong>s Nachfahren ließen die Unabhängigkeit Athens und<br />

se<strong>in</strong>e politischen Institutionen nach außen h<strong>in</strong> zwar unangetastet, aber es handelte nun erst<br />

recht um e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> formale +Sche<strong>in</strong>demokratie*. Die lokalen Eliten g<strong>in</strong>gen dabei zum eigenen<br />

Machterhalt e<strong>in</strong>e Koalition mit den Eroberern e<strong>in</strong>, und e<strong>in</strong> verschärfter Zensus sorgte für den<br />

politischen Ausschluß des +geme<strong>in</strong>en* Volks. (Vgl. Bleicken: Die athenische Demokratie; S.<br />

365–372 sowie Mossé: Der Zerfall <strong>der</strong> athenischen Demokratie)

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