Politik in der (Post-)Moderne - edition fatal

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4 POLITIK IN DER (POST-)MODERNE werden – also vor allem Platon und natürlich Aristoteles, der bis an die Schwelle zur Neuzeit als geradezu unangreifbare wissenschaftliche Autorität galt. Die von Meier behauptete +Entstehung* des Politischen bei den Griechen ist eng verknüpft mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in einigen Regionen der Ägäis, der wesentlich von einer Ablösung der reinen Natural- durch frühe Formen der Geldwirtschaft in Gang gesetzt wurde. Speziell Athen profitierte von der daraus resultierenden zunehmenden ökonomischen Ver- flechtung und war ein wichtiger Handels- und Warenumschlagplatz. Diese zentrale Stellung beruhte zum einen auf kriegerischen Erfolgen und der Gründung von Kolonien (ab Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr.). Der von Athen dominierte +attische Seebund* (geschlossen im Jahr 477 v. Chr.) ist in diesem Zusammenhang als Höhepunkt athenischer Hegemonie zu nennen. Zum anderen konnte man auf bedeutende Rohstofflager (insbesondere die Silberminen von Laureion) zurückgreifen und betrieb eine blühende Handwerks-+Industrie*. 4 Im Gefolge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs kam es zu Emanzipationsbestrebungen des +Bürgertums*, das aber nur schrittweise seine Machtansprüche durchsetzen konnte: In der griechischen Frühzeit wurde die typische Polis noch von Kleinkönigen regiert, die ihre Herrschaft vom Mythos ableiteten, aber von Beginn an nur eine schwache Position hatten. Schon bald löste in den meisten Regionen eine Aristokratie des grundbesitzenden Adels das alte monarchistische Herrschaftsmodell ab. Athen hatte bei dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle inne. Bereits 683 v. Chr. wurde dort endgültig die Königsherrschaft durch das Archonat ersetzt, d.h. von der Adelsschicht aus ihrer Mitte für jeweils ein Jahr gewählte Beamte bildeten die 5 nach unterschiedlichen Funktionsbereichen getrennte Führung der Polis. Eine wachsende Notlage der Kleinbauern, ausgelöst durch Überschuldung, sorgte jedoch für soziale Spannungen. Der Archon Solon erhielt deshalb 594 v. Chr. diktatorische Vollmachten und versuchte durch seine Gesetzesreformen, die die Adelsmacht einschränkten und die bis dahin übliche Praxis der Schuldknechtschaft aufhoben, einen Interessenausgleich zu bewirken. Bald darauf erlebte Athen jedoch eine Periode der Tyrannis, beginnend mit Peisistratos (560–527 v. Chr.), dem seine Söhne Hippias und Hipparch nachfolgten. Erst die ab 510 v. Chr. eingeleiteten Reformen des Kleisthenes setzten wieder Akzente in Richtung +Demokratisierung*: Eine Timokratie sub- stituierte die alte Adelsvormacht, und Gleichheit vor dem Gesetz (Isonomie) sollte von nun an für alle Staatsbürger gelten. Ihre +Vollendung* fand die athenische Demokratie aber erst durch die Verfassungsreformen des Perikles Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus. 6

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 5 Wenn allerdings hier von Demokratie die Rede ist, so gilt es sich vom humanistischen Mythos der Polis als einer Gesellschaft der Freien und Gleichen zu befreien. Andererseits sollte man sich vor Augen halten, daß die Demokratie, so wie sie bestand, ein anderes, vom Prinzip her gleichzeitig +demokratischeres* Gesicht trug als die repräsentativen Massendemokratien heute. Denn die antiken Stadtstaaten waren direkte Demokratien, d.h. die stimmberechtigten Bürger entschieden selbst über die sie betreffenden Angelegenheiten. Nur wie schon angedeutet: Tatsächlich stimmberechtigt waren wenige. Selbst in den +besten* Zeiten der Demokratie hatten lediglich 10–20% der auf 250.000 Personen geschätzten Population Athens politische Mitwirkungsrechte, so daß treffender von einer Oligarchie des patriarchalen Besitzbürgertums gesprochen werden sollte. Der überwiegende Teil der Bevölkerung war von der Partizipation am +demokratischen* Prozeß nämlich ausgeschlossen: Das galt zum einen für die beträchtliche Zahl der Unfreien, denn: +Ohne Sklaverei kein griechischer Staat* (Engels: Anti-Dühring; 7 8 S. 168). Frauen und Fremde (Metöken) waren zwar frei, doch konnten auch sie nicht an den Versammlungen des Demos (der kleinsten, aber bedeutendsten Organisationseinheit) 9 teilnehmen. Auf diesen Volks- bzw. Gemeindeversammlungen, die ursprünglich auf dem Marktplatz (Agora) stattfanden, wurde eine Großzahl der für das Gemeinwesen relevanten Entscheidungen getroffen. Die organisatorische Leitung oblag dem Demarchos, ein von allen volljährigen Bürgern zunächst gewählter, später aus ihren Reihen geloster Beamter. 10 Das Losen gehörte übrigens zum festen Repertoire demokratischer Verfahren in ganz Grie- chenland. In einer historischen Quelle zur Einführung der Demokratie auf Erythrai (einer Kolonie Athens) heißt es: +Es soll einen Rat geben, bestehend aus 120 Mitgliedern, ausgewählt durch Los […] Ein Nichtbürger oder ein Mann, der weniger als 30 Jahre alt ist, kann nicht im Rat sein.* (Zitiert nach Davies: Das klassische Griechenland und die Demokratie; S. 94) Dieses Zufallsprinzip sicherte eine Rotation der Ämter und half zur Verwirklichung des immer zentraler werdenden Gleichheitsgedankens. Es ist allerdings (neben den oben und im Zitat gemachten Einschränkungen) anzumerken, daß erst ab 458 v. Chr. der Zensus zur Zulassung zu öffentlichen Ämtern aufgehoben wurde. Der Bestand der damit weitgehend verwirklichten demokratischen Ordnung war zum einen durch den konservierenden Effekt des allseits ver- ankerten Respekts vor der Tradition gewährleistet. Deshalb war auch nach Errichtung der

KAP. 1: POLITIK – ETYMOLOGIE UND SEMANTIK EINES +RECYCLINGFÄHIGEN* BEGRIFFS 5<br />

Wenn allerd<strong>in</strong>gs hier von Demokratie die Rede ist, so gilt es sich vom humanistischen Mythos<br />

<strong>der</strong> Polis als e<strong>in</strong>er Gesellschaft <strong>der</strong> Freien und Gleichen zu befreien. An<strong>der</strong>erseits sollte man<br />

sich vor Augen halten, daß die Demokratie, so wie sie bestand, e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es, vom Pr<strong>in</strong>zip<br />

her gleichzeitig +demokratischeres* Gesicht trug als die repräsentativen Massendemokratien<br />

heute. Denn die antiken Stadtstaaten waren direkte Demokratien, d.h. die stimmberechtigten<br />

Bürger entschieden selbst über die sie betreffenden Angelegenheiten. Nur wie schon angedeutet:<br />

Tatsächlich stimmberechtigt waren wenige. Selbst <strong>in</strong> den +besten* Zeiten <strong>der</strong> Demokratie<br />

hatten lediglich 10–20% <strong>der</strong> auf 250.000 Personen geschätzten Population Athens politische<br />

Mitwirkungsrechte, so daß treffen<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>er Oligarchie des patriarchalen Besitzbürgertums<br />

gesprochen werden sollte. Der überwiegende Teil <strong>der</strong> Bevölkerung war von <strong>der</strong> Partizipation<br />

am +demokratischen* Prozeß nämlich ausgeschlossen: Das galt zum e<strong>in</strong>en für die beträchtliche<br />

Zahl <strong>der</strong> Unfreien, denn: +Ohne Sklaverei ke<strong>in</strong> griechischer Staat* (Engels: Anti-Dühr<strong>in</strong>g;<br />

7 8<br />

S. 168). Frauen und Fremde (Metöken) waren zwar frei, doch konnten auch sie nicht an<br />

den Versammlungen des Demos (<strong>der</strong> kle<strong>in</strong>sten, aber bedeutendsten Organisationse<strong>in</strong>heit)<br />

9<br />

teilnehmen. Auf diesen Volks- bzw. Geme<strong>in</strong>deversammlungen, die ursprünglich auf dem<br />

Marktplatz (Agora) stattfanden, wurde e<strong>in</strong>e Großzahl <strong>der</strong> für das Geme<strong>in</strong>wesen relevanten<br />

Entscheidungen getroffen. Die organisatorische Leitung oblag dem Demarchos, e<strong>in</strong> von allen<br />

volljährigen Bürgern zunächst gewählter, später aus ihren Reihen geloster Beamter. 10<br />

Das Losen gehörte übrigens zum festen Repertoire demokratischer Verfahren <strong>in</strong> ganz Grie-<br />

chenland. In e<strong>in</strong>er historischen Quelle zur E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Demokratie auf Erythrai (e<strong>in</strong>er<br />

Kolonie Athens) heißt es:<br />

+Es soll e<strong>in</strong>en Rat geben, bestehend aus 120 Mitglie<strong>der</strong>n, ausgewählt durch Los […] E<strong>in</strong> Nichtbürger<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> weniger als 30 Jahre alt ist, kann nicht im Rat se<strong>in</strong>.* (Zitiert nach Davies: Das<br />

klassische Griechenland und die Demokratie; S. 94)<br />

Dieses Zufallspr<strong>in</strong>zip sicherte e<strong>in</strong>e Rotation <strong>der</strong> Ämter und half zur Verwirklichung des immer<br />

zentraler werdenden Gleichheitsgedankens. Es ist allerd<strong>in</strong>gs (neben den oben und im Zitat<br />

gemachten E<strong>in</strong>schränkungen) anzumerken, daß erst ab 458 v. Chr. <strong>der</strong> Zensus zur Zulassung<br />

zu öffentlichen Ämtern aufgehoben wurde. Der Bestand <strong>der</strong> damit weitgehend verwirklichten<br />

demokratischen Ordnung war zum e<strong>in</strong>en durch den konservierenden Effekt des allseits ver-<br />

ankerten Respekts vor <strong>der</strong> Tradition gewährleistet. Deshalb war auch nach Errichtung <strong>der</strong>

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